Deiner Ordnung, Fehlberechnung, Bildungslücke
entspringt Dein Gott in Deinem Fall die Barbarei
Aus diesem Grund und einem Keller voller Leichen
zieht es Deutschland nach Europa
und ohne sich zu öffnen stellt es Weichen
um Schuld und Angst gleich unter Gleichen fernzuhalten
sich mit Sicherheit noch weiter zu verdrängen
in ein totales Sinn- und Sein- und Zeitbedürfnis
das wie zuvor nur in sich selber kreisen kann
ein neues Haus, das alte, Heimat
bleibt bei der Stange stehen in alter Tradition
kommt ohne wegzugehen an.
(Blumfeld: L’état et moi)
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg vom Lehrstuhlinhaber zum sozialwissenschaftlichen Klassiker besteht darin, einen Begriff zu prägen, der über das wissenschaftliche Feld hinaus wirkt. Wenn sich das überregionale Feuilleton dann Global Cities, die Weltrisikogesellschaft oder die Neuen Kriege in den Sprachgebrauch übernommen hat, kann man die Zeit bis zur Pensionierung als Keynote-Speaker, Interviewpartner von Alexander Kluge oder populärwissenschaftlicher Visionär fristen. Letzteren Weg wählte Herfried Münkler, der es trotz kleinerer Streitigkeiten mit seinen Erstisi fertig brachte, 2015 drei Monoraphien zu veröffentlichen. Den schmittschen Reigen von Raumii und Kriegiii komplettiert ein Werk über die zukünftige Rolle Deutschlands in Europa.iv
Darin argumentiert Münkler, dass Deutschland ein „verletzbarer Hegemon“ sei und sich eben ob dieser Verletzbarkeit moralisch am besten für die Führungsrolle in Europa eigne. Nun mag man es seltsam finden, dass Münkler dem Nationalsozialismus noch eine andere positive Seite abgewinnen will als die immergleichen Autobahnen, aber wenn dadurch dafür Sorge getragen wird, dass man mal ein Jahrhundert nicht in Polen einfällt, mag der Zweck die Mittel heiligen. Auf jeden Fall aber ist es für einen Politikwissenschaftler, der sich mit einer Dissertation über Niccolò Machiavelli promovierte, erstaunlich, dass er die Moral als sicherheitspolitische Variable in die Internationalen Beziehungen einführen möchte. Es scheint so, als wolle Münkler der deutschen Nation mit dem altbewährten Kunstgriff des „nicht trotz, sondern wegen Auschwitz“ für die eigene Führungsrolle Mut zusprechen. Die Perspektive auf Deutschland als europäischem Hegemon ist spätestens 2015 zum gängigen Deutungsmuster im politischen Diskurs geworden.
Stand der Kritik
Aus dem ideologiekritischen Lager war im vergangenen Jahr zum oktroyierenden Gebaren der deutschen Regierung in der europäischen Schuldenkrise – oder um den fiskalpolitischen wie auch rhetorischen Klimax zu verwenden: der Griechenland-Krise – wenig zu hören. Zwei Ausnahmen sind hervorzuheben. Uli Krug verwehrt sich in „Selbstkritik des Linksradikalismus“v einerseits in gewohnt markigen Worten gegen die tumbe Parteinahme mit Syriza und gegen die schon fast elterliche Viktimisierung qua Solidarität mit den Griechen schlechthin. Er ruft damit den Brandbriefvi der griechischen Gruppe Antifa Negative an die Konkret und Jungle World aus dem Jahr 2012 in Erinnerung, welche die einseitige Berichterstattung der linken deutschen Medien als Affront gegen Ihre eigene antifaschistische Arbeit verstanden. Zum anderen weißt Uli Krug in seinem Artikel auf das grundlegende Verhängnis der deutschen Linken in der Krise hin: Dass ein gegen die deutsche Sparpolitik gerichteter Protest nicht mehr sei als Antiimperialismus der nun eben die richtigen treffe.
Dominique Goubelle nahm sich des Themas unter dem Titel „Freiheit stirbt mit Sicherheit“ an. Neben dem historischen Exkurs über die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg und die schäbige Höhe der Reparationszahlungen geht er dabei auch auf ökonomische Zusammenhänge ein, im speziellen auf den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum, Staatsschulden und Exportweltmeisterschaften:
„Dass der Bundeshaushalt im Jahre 2014 zumindest strukturell als ausgeglichen deklariert werden konnte und die Bundesregierung erstmals seit ca. vierzig Jahren keine neuen Schulden aufnehmen musste, wohingegen Länder wie Griechenland sprichwörtlich am Abgrund stehen, ist allerdings weniger einer deutschen Mentalität und schon gar nicht dem bewussten Streben nach einem „Vierten Reich“ oder den besonderen Fähigkeiten des amtierenden Finanzministers geschuldet“. vii
Hinter die Erkenntnis, dass die europäische Finanzkrise nichts mit einer deutschen Mentalität zu tun hat, und es keine spezifisch-deutsche Ideologie gibt, die ausschlaggebend für die hegemoniale Position in welche die Bundesrepublik in der Finanzkrise getreten ist, dahinter kann eine Analyse nicht zurückfallen. Der Staat mag im Gestus seines Handelns vielgestaltig und historisch oder sozial (also durch den Klassencharakter und den Grad der Aufklärung) bedingt divergent sein, aber letzten Endes ist sein Handeln ebenso rational wie seine Legitimation und Konstitution es sind. Was nicht heißen soll, dass Wirtschaft- und Fiskalpolitik nicht die wichtigsten außenpolitischen Werkzeuge des Nationalstaats wären. Vor allem die Politische Ökonomie lieferte in den vergangenen Jahren und Monaten wichtige Analysen zu Rolle des Staates (und damit zusammenhängend auch von Ideologie) in der Finanzkrise.viii So zeigt Ingo Stützle auf, dass insbesondere der hohe Exportanteil von 50% am Bruttoinlandsprodukt Deutschland zu einem Gewinner der Krise macht. Der niedrige Leitzins der EZB schafft für die exportorientierten Unternehmen ein geschäftsfreundliches Klima. Ebenso ergibt sich ein Exportvorteil durch die schwächelnde gemeinsame Währung. Hier kommt Deutschland insbesondere zu Gute, dass es sich in den vergangenen Jahren vom europäischen Markt emanzipiert hat – an die Stelle des gemeinsamen Binnenmarktes tritt in zunehmendem Maße China als Abnehmer. Über den Außenhandel hinaus erzeugte die Finanzkrise in der europäischen Peripherie einen sog. Pull-Faktor für FacharbeiterInnen, die nach Deutschland zuwanderten und hier dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Schließlich wurde im Inland eine Angst vor dem sozialen Abstieg geweckt, ein nicht unerheblicher Faktor wenn man durch eine staatliche Sparpolitik das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts erreichen will.ix
Das deutsche Projekt Europa
Jenseits der politökonomischen Analyse der deutschen Dominanz eröffnen sich im Kontext der Krise jedoch sehr wohl Perspektiven, die ein deutsches Spezifikum suggerieren. Etwa die Rolle Deutschlands in der neueren Geschichte – die deutsche Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg, aber auch die Europäische Integration die nicht zuletzt den verzweifelten Versuch darstellt den Aggressor zweier Weltkriege an die Kandare zu nehmen. Daran anschließend stellt sich a) die Frage welche Rolle Deutschland zukünftig in der EU und Europa avisiert. Es gilt b) den Gestus der Dominanz zu hinterfragen, in dessen Folge die mediale und politische Auseinandersetzung mit der griechischen Schuldenkrise an ein fortwährendes Fußballgroßturnier erinnerte. Und schließlich gilt es im Anschluss an die politökonomische Analyse c) zu fragen, ob Gramscis Begriff von Ideologie als „gelebter, habitueller gesellschaftlicher Praxis“x sich ich Anbetracht der problemlosen Durchsetzbarkeit der Sparpolitik auch auf die deutsche Gesellschaft anwenden lässt.
„Sollte es der Wunsch Frankreichs gewesen sein, den Euro zu gründen, um die vermeintliche deutsche Dominanz zu brechen, dann ist genau das Gegenteil eingetreten.“xi Diese Aussage des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zeigt auf bedrückende Weise das Selbstbild Deutschlands, das bei vollem historischem Bewusstsein nichts mehr fürchtet als das Bündnis mit seinen Nachbarn – eben jenem Frankreich, das als einziger Staat Deutschland die Rolle als (alleinige) Hegemonialmacht streitig machen kann. Die Entwicklung Deutschlands zur Hegemonialmacht unterteilt Ulrike Guérot in drei Stufen: „zunächst ein zaghaftes Hinauswachsen aus der vorgängigen Ankerrolle Deutschlands für Europa durch den zunehmend artikulierten Willen einer „nationalen Normalität“ zwischen 1998 und 2005; danach eine aktive Phase der „nationalen Formation“ Deutschlands zwischen 2006 und 2009; und schließlich, ausgelöst durch die Eurokrise, eine Phase der deutschen Übermacht oder Hegemonie in Europa“.xii
Folgt man dieser Analyse, so fußt die deutsche Machstellung in Europa eben auch auf der Wiedergutwerdung Deutschlandsxiii, dann lässt sich Exportweltmeister nicht ohne Sommermärchen denken, die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank nicht ohne das Nein zum Irakkrieg und FRONTEX nicht ohne Erinnerungspolitik. Tatsächlich eröffnet die hegemoniale Position in Europa neue Handlungsspielräume für Deutschland. Die griechische Legislative etwa ist der Troika bzw. inzwischen Quadriga verpflichtet, was bedeutet, dass kein Gesetz, das den Staatshaushalt tangiert ohne Zustimmung eben dieser 3-4 Personen verabschiedet werden darf – #thisisacoup. Ohne die Lästigkeit einer demokratischen Legitimation oder eines Angriffskrieges wurde in den vergangenen Jahren ein Land zum hörigen Trabanten modelliert – dass im Schlussakt eine sozialistische Regierung zurechtgestutzt wurde, ist dabei nur die Sahnehaube. Die Institutionen, wie sie auf griechischen Wunsch seit 2015 genannt werden, verfolgen dabei streng den deutschen Austeritätskurs und agieren dabei so rücksichtslos, dass auf Dauer kein wirtschaftliches Wachstum mehr in Griechenland zu erwarten ist. Fehlende demokratische Legitimation oder der Bruch der EU-Verfassungxiv treten da in den Hintergrund, denn: Wo kein Richter, da kein Henker.
Moral als Währung
Thomas Mann, der während des Nationalsozialismus fliehen musste und im Gegensatz zu Bert Brecht nicht glaubte, dass die Deutschen von den Nazis verführt wurden, sondern schon selbst das alles so wollten, hielt 1953 eine Rede vor Hamburger Studierenden, in der er sie dazu aufrief nach einem europäischen Deutschland anstatt einem deutschen Europa zu streben. Der Zug scheint nun endgültig abgefahren. Wer die europäische Peripherie so kontrolliert, dem muss um seine hegemoniale Stellung nicht bange sein. Die Moral, die der deutsche Staat in der Europapolitik gleich einer Monstranz vor sich herträgt, ist ihr Trumpf – allerdings in einer zynischen Wendung dessen, was Münkler als ‚verletzbaren Hegemon‘ bezeichnet. Es ist nämlich nicht die Moral einer Nation, die das deutsche Handeln legitimiert. Vielmehr ist es die hegemoniale Position Deutschlands in Europa, die das Land wieder a) zu einem Big Player macht und b) durch das vordergründige Aufgehen im Staatenbund die Absolution erteilt. Erst das Image der eingehegten Zentralmacht, das um den kontinentalen Frieden bemüht ist, ermöglicht es den eigenen Einfluss mit Vokabeln der Alternativlosigkeit zu rechtfertigen. Die Moral (hier: Zahlungsmoral) lässt sich so begründen, dass man die Griechen ja nicht weniger geschoren davon kommen lassen kann, als die Portugiesen oder Spanier. Eine leichte Übung, wenn man seine Partnerstaaten davor an einen ESM gebunden hat, der vor allem eines ist: ein Angebot, das man nicht ablehnen kann (Großbritannien einmal ausgenommen). In Europa führt kein Weg mehr an Deutschland vorbei und die entsprechende Reaktion des „weniger Europa“ längst in den Mitgliedsländern angekommen. Die Euroskeptiker stellen in Polen und Ungarn bereits die Regierung, in anderen Ländern sind sie auf dem Vormarsch.
von Alf Philips
————————————————————
xiv Schumann, H. (2015): Völlig losgelöst. In: Der Tagesspiegel (http://www.tagesspiegel.de/politik/troika-voellig-losgeloest/11406204.html)