Die Finanzkrise aus sozialdemokratischer, also systemimmanenter Perspektive zu analysieren bietet zwar wenig ökonomische Erkenntnisse (außer, dass Krisen eben passieren), jedoch hilft es einem im Land von Schramm und Pispers, Walser und Grass die gesellschaftlichen Entwicklungen nach dem Zusammenbruch des US-Immobilienmarkts 2007 zu verstehen. Mag man nämlich nicht wahrhaben, dass die Krise unumgänglicher Bestandteil kapitalistischer Vergesellschaftung ist, so gilt es nach dem faulen Apfel im Korb zu suchen. Für den demokratischen Sozialismus ist das wahlweise der Staat (also die falsche Staatsregierung) oder die Wirtschaft (die Zocker in den Bankenhochhäusern).
Nun ist die Erkenntnis, die einem zum Staat als Verursacher der Finanzkrise führt keine Falsche. Sie lautet nämlich, dass die steigende Einkommensungleichheit dazu führte, dass einkommensschwächere Menschen dazu gezwungen waren Kredite aufzunehmen, die sie auch zu überaus guten Konditionen annehmen konnten. Diese variabelverzinslichen Anleihen, sogenannte floating rate notes, stellten sich als sehr anfällig für Leitzinsveränderungen und eine schwächelnde Konjunktur heraus und gerade bei Anlegern mit niedrigerem Einkommen reichten kleine Veränderungen aus um die Liquidität zu gefährden. Die in Folge ausbleibenden Zahlungen führten zur so genannten Banken- und Immobilienkrise in den USA. Der Makroökonom Joseph Stiglitz ist ein prominenter Vertreter dieser Erklärung (vgl. Stiglitz 2012)[i]. Und dann gibt es da noch die zweite Erklärung. Diese besagt, dass es die Banker und Börsianer waren, die Wetten auf die Anlagen der Kleinsparer absetzen. Wer weiß wie Hedgefonds funktionieren, kann nicht von der Hand weisen, dass es ein sehr zynisches Spiel ist, das Banken da betreiben. Zynisch sind z.B. Derivate (ein Instrument der Hedgefonds) aber vor allem deshalb, weil sie darauf abzielen in steigenden wie in fallenden Märkten Gewinne zu erzielen. Die Regeln sind so transparent wie die Sportwetten im Profifußball. Spielt der 1. FC Köln gegen den FC Bayern, ist eine Quote von 5,3 für einen Köln-Sieg zu erwarten. Für 100€ Einsatz bekommt man also bei Eintreffen des Falls 530€. Verletzt sich im Abschlusstraining der Torhüter des 1. FC Köln, so steigt die Quote auf 6,7 (also 670€ bei 100€ Einsatz und Sieg des 1. FC Köln). Ähnlich verhält es sich mit Hedgefonds, die auf das Abschneiden von Fonds tippen. Man weiß wie viele Aktien in diesem Bündel „faul“ sind und nimmt die Quote entsprechend in Kauf oder lässt es.
Wie eingangs erwähnt: die Erklärungsansätze interessieren uns nur peripher – spannender sind die sozialpsychologischen Auswirkungen der Krise und ihrer Deutung. Die zweite Variante, nach der die zockenden Banker verantwortlich waren für die Wirtschaftskrise hatte enormen Zulauf, wohingegen eine breitere Thematisierung der Einkommensungleichheit, oder gerade die Erkenntnis, dass dieses Wirtschaftssystem auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruht, nicht stattfand. Dass Kritik dann viraler ist, wenn sie das Potenzial zur Personalisierung hat, erklären Horkheimer und Adorno in den Elementen des Antisemitismus anhand der pathischen Projektion, mittels derer die eigenen unterdrückten Regungen einem Objekt der Umwelt zugeschrieben werden können. Versteht man sich selbst also als braver Sparer, der sein hart erarbeitetes Geld sicher anlegen will, dieses aber dann vom schlitzohrigen Banker leichtfertig verzockt wird, dann liegt der Schluss nahe, dass das eigene Profitstreben eben aufgrund dieser Verschiebung als grundverschieden vom bänkischen aufgefasst wird.
Islamic Banking stellt für den braven Sparer seit der Krise eine interessante Alternative zum konventionellen Bankgeschäft dar. Die Grundmotivation des Islamic Banking ist es dabei ein Bankenwesen zu erschaffen, das im Einklang mit der Sharia steht. Besondere Beliebtheit erlangte das Islamic Banking im Zuge der Finanzkrise vor allem durch das Verbot von Maisir und Qimar. Die Maisir bezieht sich auf leicht und zufällig erlangten Reichtum, wobei es keine Rolle spielt, ob das Recht einer anderen Person dabei eingeschränkt oder übertreten wurde. Die Qimar hingegen bezieht sich auf eine Situation beim Glücksspiel, bei der der Gewinn direkt an das Eintreten oder nicht-Eintreten eines offenen Ereignisses geknüpft ist. Beides basiert auf einer Sure aus dem Koran, in der es heißt: „Sie werden die befragen nach dem Wein und dem Glückspiel. Sprich: In beidem liegt großes Übel und ein großer Nutzen für euch. Ihr Übel ist jedoch größer als ihr Nutzen (…).“[ii]. Diese prophetische Marktanalyse macht Islamic Banking so interessant für den Durchschnittsanleger: Islamische Banken scheuen Risikoanlagen – und was dem Propheten halal, das ist auch für den deutschen Sparer gut. In Deutschland ist die KT Bank AG (Kuveyt Türk) als erste Islamische Bank in der Europäischen Union 2015 als vollwertige Bank lizensiert worden. Niederlassungen befinden sich in Frankfurt, Berlin, Mannheim, Köln und München[iii]. Weltweit haben islamische Banken eine Wachstumsrate von 17,6%, womit sie schneller wachsen als der Bankensektor im Durchschnitt[iv].
Ein zweiter Gewinner der multiplen Krisen vergangener Jahre ist die Degrowth-Bewegung. Getrieben von der Erkenntnis, „dass es so nicht weitergehen kann“, gewinnt die Bewegung täglich neue Anhänger, die mit ihrem Lebensstil eine Reihe von Zielen im Blick haben, welche mit dem Begriff der Nachhaltigkeit am besten umschrieben werden können. Ökonomisches Ziel der Bewegung ist ein Gesund-Schrumpfen der Wirtschaft, das die Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als hedonistische Auswüchse versteht und zwingermaßen in den multiplen Krisen der vergangenen Jahre münden musste. Was beide Ansätze eint, ist die Zinskritik. In der Postwachstumsökonomie geschieht dies im Rückgriff auf Silvio Gsell. Die „vom herrschenden Zinssystem induzierten Wachstumszwänge“[v] sollen durch ein Regionalgeld substituiert werden. (auf detaillierte Ausführungen wird an dieser Stelle verzichtet. Vgl. hierzu den Beitrag von Motya Goines in dieser Ausgabe). Im Islamic Banking wendet sich das Riba-Verbot gegen das Zins-Prinzip. Riba heißt übersetzt so viel wie „Überschuss“ und das Verbot eben dieses Überschusses lässt sich ebenfalls aus der Sharia ableiten: „Die den Zins verehren, stehen nicht anders da, als der, den der Satan mit einem Griff niederschlägt. Denn sie sagen ‚Handel und Zinsnahme sind gleich‘. Gott aber hat den Handel erlaubt und die Zinsnahme verboten. Wenn zu jemandem Mahnung von seinem Herrn kommt und er dann aufhört, dann gehört ihm, was vorausgegangen ist. Seine Sache steht bei Gott. Die es aber wieder tun, das sind die Gefährten des Feuers. Ewig sind sie darin.“[vi]
Die kapitalistische Gesellschaftsform ist von Widersprüchen geprägt und ihre Aufhebung so notwendig wie unerdacht. Der Regress, etwa in Form des Zinsverbotes, wird aber der Ausweg nicht sein. Es ist kein Fortschritt die konkrete an die Stelle der anonymen Herrschaft zu stellen, keiner das Lokale an die Stelle des Globalen zu stellen. Eine Gesellschaft wird dadurch nicht freier, dass die Maßstabsebenen kleinteiliger werden. Im Gegenteil, es produziert die Provinzialität, die es zu überwinden gilt.
von Alf Philips
[i] Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht. Siedler, München 2012
[ii] Sure 2: 219
[iii] http://www.morgenpost.de/wirtschaft/article208012791/Islamische-Bank-will-auf-dem-deutschen-Markt-expandieren.html
[iv] http://www.economist.com/news/finance-and-economics/21617014-market-islamic-financial-products-growing-fast-big-interest-no-interest
[v] http://jungle-world.com/artikel/2016/06/53459.html
[vi] Sure 2: 275