Am kommenden Wochenende findet die Stichwahl um das Amt des österreichischen Bundespräsidenten statt. Mit Norbert Hofer hat dabei erstmals ein Kandidat der FPÖ aussichtsreiche Chancen in die Hofburg einzuziehen. Wir haben mit dem Künstlerkollektiv Wien, einer Gruppe von KünstlerInnen, die in Wien leben und arbeiten, über die Gefahr für die kulturelle Linke gesprochen.
Distanz: Für Außenstehende stellte sich die politische Landschaft Österreichs immer als Auseinandersetzung zwischen Zentrum und Peripherie dar. So würde es auch nicht verwundern, dass der Rechtspopulist aus dem Burgenland und der progressive Kandidat aus Wien kommt. Allerdings hat HC Strache bei der Wiener Kommunalwahl auch fast 1/3 der Stimmen geholt. Besitzt der Gegensatz von Stadt und Land in der aktuellen Situation noch Erklärkraft?
Künstlerkollektiv Wien (KW): Zunächst muss man sagen, dass van der Bellen zwar in Wien geboren, aber in einem Tiroler Bergdorf aufgewachsen ist. Generell hat er beim ersten Wahlgang in Wien mehr Stimmen erhalten als Hofer, aber trotzdem würden wir nicht sagen, dass es ein besonders signifikantes Stadt-Land-Gefälle gibt. Viele kleinere Städte in Österreich, wie Graz, haben Qualitäten, die man in deutschen Städten dieser Größe nicht findet, z.B. im kulturellen Bereich. Außerdem gibt es ja auch Unterschiede zwischen Ost und West. Das bewährte Rezept, sozial schlechter Gestellte gegeneinander aufzuhetzen und Ängste zu schüren, wird sowohl in ländlichen Gebieten, als auch in der Stadt angewendet. Wir glauben generell, dass die aktuelle Entwicklung Teil eines europäischen bzw. globalen Problems ist. In vielen europäischen Ländern findet ja gerade ein Rechtsruck statt, und rechtsradikale Bewegungen beflügeln sich gegenseitig. In Wien haben zum Beispiel auch viele Menschen mit bosnisch-kroatisch-serbischem Migrationshintergrund die FPÖ gewählt, vermutlich aus Angst vor der Konkurrenz durch andere Migrantinnen, also Abstiegsängste, die natürlich von der FPÖ befeuert werden.
Distanz: Der Kandidat Hofer hat ja starke Verbindungen zu Burschenschaften und rechten Think Tanks. Könnt Ihr einschätzen, welche Rolle diese, oder auch die Identitäre Bewegung – unabhängig von der Person Hofer – in der österreichischen Politik spielen?
KW: Wir denken, dass besonders die Burschenschaften in Österreich eine extrem große Rolle, vor allem bei der Besetzung wichtiger öffentlicher Stellen spielen. Burschenschaften sind in Österreich weithin akzeptiert und als Karriereleiter beliebt. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass der rechte Akademikerball (also der Ball der Burschenschaftler) trotz großer Proteste weiterhin jedes Jahr in der Hofburg stattfinden kann. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Burschenschaften viel offener auftreten als in Deutschland und viel weniger einen Hehl aus ihrer Gesinnung machen. Hofer selbst war ja Mitglied einer Burschenschaft und trägt auch gerne mal bei wichtigen öffentlichen Anlässen die Kornblume im Knopfloch, in den frühen 30er Jahren ein Erkennungszeichen der in Österreich verbotenen nazionalsozialistischen Bewegung. Insgesamt kann man sagen, dass ein unheilvolles Amalgam aus Aristokratie, Neonazis und Erzkatholiken in Österreich für die Besetzung vieler wichtiger Positionen sorgt. Der Wahrnehmung nach ist auch Freunderlwirtschaft [Vetternwirtschaft] noch verbreiteter als in Deutschland und wird viel offener praktiziert. Die Identitäre Bewegung spielt unserer Wahrnehmung nach eine geringere Rolle bei diesem institutionalisierten Rechtsnationalismus (sie werden auch vom Verfassungsschutz beobachtet und öffentliche Sympathiebekundungen von Seiten der FPÖ werden vermieden), sie sind brutaler und nutzen andere, plumpere Methoden.
Distanz: Generell lässt sich in Europa ein Rechtsruck feststellen. Gibt es Verbindungen – Schulterschlüsse – der FPÖ mit anderen rechtspopulistischen oder rechtsradikalen Parteien in Europa, etwa zur AfD oder zu Jobbik?
KW: Hofer hat sich ja nach dem ersten Wahlgang von Jobbik distanziert, die ihn zu seinem Wahlerfolg beglückwünscht hatten – wahrscheinlich eine strategische Entscheidung, da sich Jobbik ja noch wesentlich radikaler als die ohnehin schon extrem rechte ungarische Regierungspartie Fidesz präsentiert. Außerdem ist es ja ein Teil des Programms von Jobbik, eine Wiederherstellung Groß-Ungarns zu fordern, und das würde bedeuten, dass das Burgenland wieder zu Ungarn gehören würde. Sich öffentlich dazu zu bekennen, ist wahrscheinlich selbst Hofer zu heiß. Der FPÖ-Vorsitzende Strache hat ja erst kürzlich einen vergessen geglaubten Konflikt wiederaufleben lassen und eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien gefordert. Dass solche unfassbaren Forderungen in ernsthaften politischen Diskussionen überhaupt möglich sind, zeigt, dass der Abstand zu Ländern wie Ungarn politisch ziemlich gering geworden ist, bzw. dass da schon eine Art Vorbildfunktion besteht.
Hofer hat in der Vergangenheit mit einigen rechten Gruppierungen zusammengearbeitet, zum Beispiel gab er dem rechtsnationalen deutschen „hier und jetzt“ – Magazin und dem „Zuerst“ – Magazin ein Interview. Außerdem fand zwischen FPÖ und AfD unlängst ein Treffen in Salzburg statt, bei dem sie sich wohl gegenseitig beschnuppert und Gemeinsamkeiten ausgelotet haben.
Distanz: Blickt man auf Österreich 2016, erkennt man Parallelen zu den Kulturkämpfen der 1980er Jahre. Der Bundespräsidentschaftskandidat Hofer tritt offen mit Nazisymbolik (der blauen Kornblume) auf und erst vor wenigen Wochen wurde die Aufführung von Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ gestürmt. Angenommen der nächste Bundespräsident kommt von der FPÖ, welche Entwicklung erwartet Ihr im kulturellen Bereich?
KW: Der Präsident an sich hat zunächst keinen direkten Einfluss auf Kulturinstitutionen, falls aber eine FPÖ-Regierung eingesetzt wird, könnten einige Änderungen eintreten. Wir können uns vorstellen, dass, ähnlich wie in Ungarn, schleichend Neubesetzungen in wichtigen kulturellen Institutionen stattfinden werden, und dass natürlich viele Förderungen für Kunst und Kultur eingestellt werden. Die Lage ist hier in Wien im Vergleich zu anderen europäischen Städten extrem gut, es gibt Fördertöpfe für queere und feministische Kunst, internationale Atelierstipendien und diverse Kulturförderprogramme für Kunstschaffende mit Migrationshintergründen. Dass das nicht ins Programm einer rechtsnationalen Partei passt, kann man sich ja vorstellen. Wohin die Tendenz geht, lässt sich bereits in Oberösterreich beobachten. In Wels gibt es jetzt schon Vorschriften für Kindergärten, den Kindern deutsches Liedgut beizubringen. Hofer selbst benennt Odin Wiesinger als Lieblingsmaler, dessen Spezialität martialische Darstellungen von Soldaten mit Stahlhelmen sind. Wir können uns vorstellen, dass interessante, kritische und zeitgenössische Kunst mehr in den Underground wandern wird, beziehungsweise dorthin gedrängt wird.
Distanz: Conchita Wurst hat ja das ‚queere Wien‘ bekannt gemacht. Wie groß ist die Sorge, dass Freiräume – etwa im LGBTQ-Bereich – mit einem politischen Umschwung in Gefahr geraten?
KW: Wenn die FPÖ an die Macht kommt, wird die Stimmung in Bezug auf LGBTQ – Personen umkippen, sie werden versuchen müssen, weniger aufzufallen, es wird weniger Vielfalt und Toleranz in Bezug auf individuelle Lebensentwürfe geben. Stichwort: Familie als Keimzelle der Nation. Die Rechte für LGBTQ-Personen werden dann wieder mehr eingeschränkt, zum Beispiel im Bereich eingetragene Partnerschaften.
Was Conchita Wurst betrifft, so ist ihr Erfolg natürlich ein wichtiger Schritt zu mehr öffentlicher Wahrnehmung von LGBTQ-Personen, allerdings auch einer, der sich sehr gut vermarkten lässt. Sie ist unserer Meinung nach zu unpolitisch und zu angepasst, um als queeres Sprachrohr zu fungieren. Beispielsweise macht sie ja Werbung für die Bank Austria, und hat zwar ein Statement zur Stichwahl abgegeben, darin aber nie konkret empfohlen van der Bellen zu wählen.
Distanz: Wie ist die (außerparlamentarische) Linke aufgestellt? Ist eine einheitliche Opposition gegen die FPÖ zu beobachten oder gibt es Grabenkämpfe?
KW: Im Moment wollen natürlich alle verhindern, dass Hofer an die Macht kommt. Der Bundespräsident hat ja ganz andere Befugnisse als in Deutschland, und könnte die Regierung bei Missfallen beliebig oft auflösen. Es besteht also eine große und deutliche Gefahr für die demokratischen Strukturen in Österreich, die viele vereint.
Trotzdem denken wir, dass die linken Gruppen zu zerfasert und vielfältig sind, als dass man von einer einheitlichen Opposition sprechen könnte. Das ist ja zunächst nichts Negatives, und bedeutet, dass es in so einem schwierigen Prozess wie Meinungsbildung und auch in der aktuellen politischen Situation keine einfachen und eindimensionalen Lösungen geben kann. Das Problem ist, dass die FPÖ genau das behauptet, einfache und klare Lösungen zu haben, und das ist auch einer der Gründe ihres Erfolgs. Niemand will momentan hören „es ist kompliziert und es gibt kein Schwarz oder Weiß“ Meinung wird hier vorgegeben, und nicht gebildet. Die Komplexität von gesellschaftlichen Prozessen wird auch im Bildungssystem zu wenig vermittelt. Dass in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts die Wirtschaft eben wegen der Zuwanderung florierte, könnte auch bei Menschen zu einem Umdenken führen, die nicht über den ökonomischen Tellerrand hinausblicken können. Was unserer Meinung nach in der aktuellen Situation helfen würde, wäre eine linke Utopie als Gegenentwurf, anstatt sich bei der rechten Wählerschaft anzubiedern, wie zuletzt die SPÖ unter Faymann. Die Linke sollte sich auf ihre sozialistischen Grundwerte besinnen. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu fordern. Diese Zukunftsvision zu finden ist aber in unserer Form des Kapitalismus extrem schwierig, wo sämtliche Protestbewegungen und Untergrundströmungen sofort aufgenommen und vermarktet werden. Es fehlt der gemeinsame Kampf gegen ein bestimmtes System und man hat oft das Gefühl, gegen Gummiwände zu rennen.
Distanz: Was denkt Ihr, wer wird gewinnen?
KW: Wir hoffen, dass etwas Ähnliches wie bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich 2002 stattfinden wird und van der Bellen gewinnt.
Vielen Dank, dass ihr euch Zeit genommen habt.