Mit einem charmanten Neurotiker auf Entdeckungsreise durch Israel – Rezension zu Tuvia Tenenboms neuem Buch "Allein unter Juden"

Als am 18. November 2014 zwei palästinische Extremisten vier Menschen in einer Jerusalemer Synagoge ermordeten, zeigten sich sogar deutsche Medien einigermaßen bestürzt. Das heute journal, stets bemüht um eine (israel-)kritische Berichterstattung schaffte es, die Familie des getöteten Attentäters zu interviewen, die nicht nur von der Verzweiflung der palästinensischen Bevölkerung lamentieren durften, sondern auch noch das letzte Wort erhielten. Dieser furchtbare Beitrag ist bezeichnend für die Berichterstattung über Israel, die wohl auf einem durch Sprachbarrieren erzeugten Mangel an Originaltönen und auf einem zu viel an Ressentiments beruhen. Umso erfreulicher ist deshalb das neuste Buch Tuvia Tenenboms, das im Herbst 2014 im Suhrkamp Verlag erschien: „Allein unter Juden“.
Den Autoren verschlägt es auf Wunsch seines Lektors als „Tobi den Deutschen“ nach Israel, dem Land seiner Kindheit. Er mietet sich in der „Deutschen Kolonie“ in Jerusalem ein und bereist von dort ganz Israel und das Westjordanland. Tuvia gelingt es durch seine Arabisch- und Hebräischkenntnisse, was kaum einE JournalistIn schafft: Er interviewt Menschen aller Bevölkerungsgruppen und sozialen Milieus, spricht mit Prostituierten und Knessetabgeordneten, linken AktivistInnen und palästinensischen Ministern, mit Beduinen und Drusen, ultraorthodoxen Rabbinern und mit SoldatInnen der IDF. Dieser zunächst eklektizistisch wirkende Vorgang hat einen großen Vorteil: LeserInnen erhalten ein reichhaltiges und heterogenes Stimmungs- und Selbstbild der israelischen und palästinensischen Bevölkerung, das sich vorgefertigter Schnitt- und Meinungsmuster zwangsläufig entzieht.
selbsthassende Juden
Dabei wird ziemlich schnell deutlich, wie uneins sich die Bevölkerung dieses kleinen Staates in Fragen des Nahostkonflikts ist. Tenenbom diagnostiziert einen von Selbsthass getriebenen Aktivismus linker Juden, der sich wohl am bestürzendsten an einem hochgebildeten Paar zeigt: Die Ehefrau und die Enkeltochter wurden gezielt von Palästinensern vergewaltigt und ein palästinensischer Bauunternehmer baute ihnen nur deshalb ein schönes Haus, um seine eigene Familie dort einziehen zu lassen, sobald die Juden wieder von der Levante vertrieben wurden. Dennoch weigerte sich der Ehemann anzuerkennen, dass die Palästinenser ihnen Unrecht angetan haben: „Es ist mir egal, ob das, was ich glaube, faktisch zutrifft. Ich weiß, dass es das nicht tut, aber die Fakten sind mir schnurz! Ich will glauben, selbst wenn alles, was ich glaube, falsch ist. Bitte zwingen Sie mich nicht, die Wirklichkeit zu sehen. Ich habe sie mein ganzes Leben lang bekämpft. Bitte!“
und judenhassende Palästinenser
Die Palästinenser dagegen scheinen kein Problem mit ihrer eigenen Identität und ihrem „Staat“ zu haben: Vor der sich im Aufbau befindenden palästinensischen Stadt „Rawabi“ prangt eine gewaltige palästinensische Flagge. Tenenbom fragt einen Passanten nach dem Zweck dieser Flagge, worauf dieser erwidert: „Um es den Israelis zu zeigen.“ Tenenbom ist beeindruckt von dem Stolz der Palästinenser und dem Zusammenhalt unter der Bevölkerung. Bei solchen Späßen, bleibt es allerdings nicht. Tenenbom, der sich bei Gesprächen mit Palästinensern zum Selbstschutz als „Tobi der Deutsche“ ausgibt, ist gerade deshalb beliebt. Er erhält den Kampfnamen „Abu Ali“ – den auch Adolf Hitler erhielt.
Der mobile Antisemitismus
Die eigentlichen Herren dieses kleinen Landstrichs sind jedoch weder jüdische Israelis, noch palästinensische Araber: Es sind die Aktivisten der Menschenrechtsgruppen und Nichtregierungsorganisationen, die sich zum Kreuzzug gegen die Juden aufgeschwungen haben. Von „B´Tselem“ über „Ärzte ohne Grenzen“ bis zum „Internationalen Roten Kreuz (IKRK)“ organisieren fast alle die Überwachung der Juden und den Schutz der Palästinenser. Kein Land der Welt hat im Vergleich zur Einwohnerzahl eine ähnlich hohe Dichte an NGOs. Eigentlich unpolitische Gruppen wie das IKRK beanspruchen jedoch dennoch eine politische Deutungshoheit, die sie durch UNO-Resolutionen auch meist durchsetzen. Dass schockierende für Tenenbom ist weniger, dass es Antisemiten gibt – diese Erkenntnis lernen Juden leider bald. Das schockierende ist die Mobilität der Antisemiten: Die Judenfeinde von heute sind bereit, tausende Kilometer zu reisen, in das einzige Land, dessen Flagge einen Davidstern ziert, um die Juden zu kontrollieren und zu schikanieren und die Palästinenser zu lieben.
Humor, trotz alledem?
Die Besonderheit des Buches besteht nicht nur aus der Vielfalt an Originalstimmen, die es übrigens ermöglichen, Tenenboms Meinung auch gegen den Strich zu lesen, und ein eindrückliches Puzzle dieses heterogenen Fleckchens Erde hinterlassen. Die Besonderheit des Buches liegt auch in dem leicht ironischen aber stets freundlichen Witz, mit dem dieser charmante Neurotiker die Positionen und Geschichten der Menschen kommentiert, die er auf seiner Reise trifft. Tenenbom zeigt sich als Mensch mit Humor, der auch über sich selbst lacht und den Leser zum Lachen einlädt, wenn er in die Identität eines Meisteragenten oder eines Syrers mit Vorliebe für Tiroler Tracht schlüpft und die Klagemauer besichtigt. Das Spiel mit der eigenen Identität, ein herrschendes Motiv jüdischer Literatur, verfestigt sich bei Tenenbom zu der Frage nach der eigenen Identität. Die Erfahrungen, die er auf seiner Reise sammelt, lassen die sanfte Ironie zum Schluss in einen resignierten Zynismus kippen, woran auch die Deutschen Schuld tragen. Denn: „Raten Sie mal, welches Land am meisten Steuergelder für antiisraelische Kampagnen ausgibt?“

von Benjamin W.

Tuvia Tenenbom, Allein unter Juden. Eine Entdeckungsreise durch Israel. Suhrkamp 2014. 474 Seiten. 16,99 Euro

Tenenbom

 

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