Bierernst sang Peter Licht 2006 vom Ende des Kapitalismus, dass der alte Schlawiner uns lang genug auf der Tasche gelegen, nun aber endlich vorbei sei. Mit der im darauffolgenden Jahr einsetzenden Finanzkrise wurde der Song zum Mantra aller zivilisationsmüden PostwachstumsaktivistInnen, die es leid waren, ihre ‚kapitalistischen Bäuche‘ noch länger mit sich herumzutragen. Vom Ende des Kapitalismus ist indes nichts zu sehen. Anpassungen, beispielhaft der von Bob Jessop beschriebene Übergang vom „Keynesian welfare national state to schumpeterian workfare post-national regime“, überbrücken Krisen und erneuern so das System. Damit einher gehen Veränderungen in den Produktionsverhältnissen, die – in Abgrenzung zur klassischen Fabrikarbeit – als Postfordismus gelabelt sind.
Wie das aussehen kann, zeigt Dave Eggers in seinem Roman The Circle. Bei den erfolgreichen Start-Ups heißt das Firmengelände ‚Campus‘ und die Idee der Unternehmenshierarchie hat man lange hinter sich gelassen. Zugleich bedeutet dies, dass jedeR MitarbeiterIn Managementqualitäten mitbringen muss. „Negativ fällt man nicht auf, wenn man montags später kommt, oder zu oft aus dem Fenster
guckt, wohl aber, wenn man einer Firmen-Partyveranstaltung […] ohne Erklärung fernbleibt oder nicht mit ausreichend kindlicher Begeisterung in die Hände klatscht, wenn die Projekteinheit zum Hulla-Hoop-Tanzen auffordert“1
Die Tendenz zum Self-Management greifen auch Carl Cederström und Peter Fleming in ihrem lesenswerten Buch Dead Man Working – Die schöne neue Welt der Toten Arbeit auf. Sie erkennen im oben angeführten Übergang zwei Entwicklungen der Produktionsverhältnisse: „Erstens die Deindustrialisierung des Westens und die gleichzeitige Expansion des Dienstleistungssektors; [und] zweitens, […] die Verschiebung der Managementfunktion auf die Arbeit selbst. In der Tat, das Kapital realisierte, dass es sich nicht länger selbst organisieren konnte; also verfielen die Unternehmen darauf, die Belegschaft dazu zu bringen, den Job selbst zu erledigen“2 zeichnen sie das düstere Bild eines Systems, das der Kritik an ihm stets einen Schritt voraus ist.
Die Inklusion subversiver Verhaltensweisen der Arbeitnehmer, die Monstranz gesellschaftlicher Verantwortung zwischen ‚stakeholder value‘ und ‚white washing‘ (im Buch in Anspielung auf den U2-Sänger und notorischen Wohltäter amüsanterweise als ‚Bonofikation‘ bezeichnet) und die Unmöglichkeit, sich 2014 noch krank zu melden ohne vom Bett aus noch ein Projekt zu pitchen, führen die Autoren letztlich zum Freitod als letztem Ausweg (wovon sie selbstredend abraten). Dead Man Working ist eine, in lakonischem Ton gehaltene, Beschreibung gegenwärtiger Arbeitsverhältnisse im Neoliberalismus. Awareness kann dieses Buch schaffen, für eine tiefergehende Analyse ist der theoretische Referenzpool zu eklektisch – Das Literaturverzeichnis erstreckt sich von der Minima Moralia über das Postskriptum zur Kontrollgesellschaft und deren Tausend Plateaus bis zum ‚fragilen Absoluten‘ Žižeks Das 2008 erschiene Handbuch Metamorphosen des Kapitalismus – und seiner Kritik mag hierfür, trotz fehlender Aktualität geeigneter sein.
von Simon Dudek
- EGGERS: DER CIRLCE
Kiepenheuer & Witsch 2014, 560 Seiten.
- CEDERSTRÖM, P. FLEMING: DEAD MAN WORKING. DIE SCHÖNE NEUE WELT DER TOTEN ARBEIT
Edition Tiamat 2013, 143 Seiten.
- EICKELPASCH: METAMORPHOSEN DES KAPITALISMUS – UND SEINER KRITIK
VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, 260 Seiten.
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1 Dath, Dietmar: Die coole Schinderei der Zukunft. FAZ, 5.7.14, S.9
2 Cederström, Carl; Fleming, Peter(2014): Dead Man Working, S.31.