Besprechung von Vojin Saša Vukadinović (Hg.): Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik

Nach den Sammelbänden Feministisch streiten und Beißreflexe, die hohe Wellen in den Debatten linker, feministischer und akademischer Provenienz schlugen1, legt der Berliner Querverlag einen neuen Sammelband auf, der vom Historiker Vojin Saša Vukadinović herausgegeben wird und thematisch anschließt. Vukadinović war bereits als Autor an Beißreflexe beteiligt, tritt als scharfer Kritiker der Gender Studies und queerem Aktivismus hervor und schrieb unter anderem für Emma und Jungle World eingreifende Kritiken. Insgesamt zeichnet sich der Band durch ein breites Themenspektrum aus, das sich in 38 Beiträgen um die dem Untertitel entsprechenden Kategorien entfaltet und in 7 Sektionen untergliedert ist.

Vukadinović leitet den mit fast 500 Seiten recht voluminösen Essayband damit ein, dass „[d]er Genderfeminismus, der Antirassismus und der Queerfeminismus“ „Karikaturen geschlechter-, migrations- und sexualpolitischer Emanzipationsregungen“ seien. Diesen „pessimistischen Befund“ nimmt der Band „zum Ausgangspunkt, um über den Verrat an der Mündigkeit nachzudenken“. Das Spektrum der Kritik reicht von den nach „Euphemismen für Genitalverstümmelung“ suchenden AkademikerInnen über die fatale Deutungshoheit von Sprechort- und Kollektivierungskategorien, die mit der „Akzeptanz noch für die absurdesten Identitätsentwürfe“ zusammenfallen, bis zum Ausblenden und Marginalisieren von Antisemitismus. Weiter wird konstatiert, dass die Gender Studies unfähig seien, sich kritisch zum Jihadismus zu positionieren und dieser Disziplin nolens volens jeder „Bezug zur Wirklichkeit“ abhanden gekommen sei, während „Nizza, Berlin und Barcelona“ offenkundig die reale Wirkmächtigkeit des Jihadismus aufzeigten. Hierbei stellt Vukadinović Thomas Maul, Fathiyeh Naghibzadeh sowie Philippe Witzmann als Dissidenten heraus: diese ehemaligen Studenten der Gender Studies hätten bereits seit den 2000ern auf „Fehlentwicklung in Wissenschaft und Aktivismus“ hingewiesen, wobei deren „harsche, aber notwendige Kritik“ jedoch „ignoriert“ oder schlichtweg als Rassismus gebrandmarkt werde. Vukadinović schließt mit einer Klage an die der postmodernen Theorie entsprungenen Postcolonial und verwandten Gender Studies: so kennen diese nur noch „’Wahrheiten’“ und würden sich im höchsten Maß am „Verfall des Denkens“ beteiligen. Wie Vukadinović an anderer Stelle ausführt, ist ihm an einem Paradigmenwechsel gelegen, der sich wieder vermehrt aus der Tradition der zweiten Frauenbewegung speist.2

Wie Beißreflexe und Feministisch streiten trägt auch dieser Band berechtigte Kritik an postmodernen Ansätzen und am politischen Aktivismus queerer Provenienz vor. Dass hierbei kaum grundsätzlich neue Argumente verhandelt werden, könnte man nun wie folgt deuten: die linke (und feministische) Debatte scheint ziemlich auf der Stelle zu treten, was sich in der stetigen Veröffentlichung von einführenden Sammelbanden und Debattensammlungen, die zum überwiegenden Teil Zweitverwertung darstellen, äußert. Deshalb sei hier auch auf eine deutliche Schwäche verwiesen, die schon die beiden Vorgängerbände auszeichnete: Die AutorInnen jonglieren zwar mit Universalkategorien, wie Freiheit, Mündigkeit und Wahrheit, die jedoch großflächig unbestimmt und undialektisch sowie unvermittelt nebeneinander stehen bleiben. Gerade dadurch liefern sie sich allzu leicht einer (dann auch berechtigten) Kritik durch postmoderne Positionen aus. Manche Argumente erscheinen damit als verlängerter Arm Maulscher Restvernunft, die zwar mit Buzzwords wie ‚Freiheit‘ und ‚Mündigkeit‘ um sich wirft, aber längst zum bloßen Jargon verkommen ist – was nicht allzu untypisch für zeitgenössische Positionen aus dem Spektrum der antideutschen bzw. ideologiekritischen Szene ist. Das ist jedoch keine Absage an das Buch, denn en détail bleiben einige der darin verhandelten Beiträge, Ausführungen und Kritiken sehr lesenswert, andere hingegen sehr grobschlächtig und theoretisch vage, wodurch sich insgesamt ein ambivalenter Leseeindruck einstellt. Polemiker wie Maul und Witzmann mögen durchaus in einigen Punkten berechtigte Einwände erheben – darin ist auch Vukadinović zuzustimmen – dennoch bleibt auch zu reflektieren, dass Mauls ‚Kritik‘ an #MeToo unter anderem in die völlige Affirmation des Bestehenden umschlägt.3 Sehr kritikwürdig ist in diesem Kontext exemplarisch die Aussage Anastasia Iosselianis in dem Beitrag „Iranischer Imperialismus, antiimperialistischer Egalitarismus“, dass „Antiimperialismus – gleich welcher Form und Schule“ abzulehnen sei. Folgt man dem Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn, so gälte es bezüglich Antiimperialismus und Antikolonialismus eher in „eine aufgeklärt-egalitäre, eine identitär-universalistische und eine – so paradox es klingen mag – selbst rassistische“ Variante zu unterscheiden.4

Es wäre zudem äußerst sinnvoll gewesen, den Queerfeminismus ideengeschichtlich richtig zu verorten. Erst so ließe sich eine überzeugende Fundamentalkritik auf die Füße eines historisch-materialistischen Feminismus stellen, dessen Begriff von Universalismus nicht so unvermittelt wäre, wie dies bisweilen in Freiheit ist keine Metapher erscheint. Einer der zentralen Blöcke von Freiheit ist keine Metapher „Sediment des Zeitgeists – Zur Popularität des unkritischen Werks von Judith Butler“, kommt dagegen allzu polemisch daher; so ersucht Marco Ebert in seinem Beitrag Butler mit Bezug zu Leo Löwenthal als Falsche Prophetin auszuweisen. Natürlich ist es geboten, Butlers Verharmlosungen und Relativierungen von Jihadismus im Allgemeinen sowie Hamas und Hizbollah im Besonderen scharf zu kritisieren, was auch Ebert in seinem Beitrag schafft; das gilt besonders für Butlers in der Theorie angelegten Antizionismus. Sie jedoch als ordinäre Faschistin vom Schlage eines William Dudley Pelley zu markieren, erscheint allzu leichtfertig und plump. Hinsichtlich Butlers Gender-Theorie sollte vielleicht auch noch einmal eine generelle Debatte darüber angestoßen werden, worin eigentlich tatsächlich ein kritischer Gehalt liegen könnte und was in der Rezeption daraus gemacht worden ist. Denn Butlers Theorie war von ihrer Stoßrichtung her explizit antiidentitär ausgerichtet und forderte nicht das Kategorisieren um des Kategorisieren willen; jedoch ist es im queeren Milieu längst Usus, Schublade um Schublade zu öffnen und jegliche Emotion, Charaktereigenschaft oder sexuelle Orientierung neu zu kategorisieren, was einem vom Anspruch her antiidentitären Denken ziemlich zuwider läuft. Dass ‚Freiheit‘ keine Metapher sei, bleibt insgesamt ob der begrifflichen Unschärfe zu vage, da genau dies laut dem – wohlgemerkt – didaktischen Anspruch des Titels verdient hätte, genauer ausgeführt zu werden. Kurzum: Dem Band fehlt damit deutlich ein einführender Beitrag, der sich den Kategorien von Freiheit, Mündigkeit, Wahrheit etc. annimmt. Man hätte diese in einer an Hegel angelehnten bestimmten Negation verorten können, die z.B. deutlicher den Ausschluss des ‚Weiblichen‘ zu fassen vermag und diese Begriffe und Kategorien im Sinne einer dialektischen Betrachtung beweglich und offen hält, anstatt sie – wie das partiell getan wird – so starr und ahistorisch gegen die zurecht kritisierten Dogmen der Postcolonial und Gender Studies anzuführen.

Dass das anders geht, zeigt der bereits 1993 erschienene Sammelband, Der Streit um Differenz, in dem es Seyla Benhabib im Streitgespräch mit Judith Butler überzeugend gelang, eine universalistische Position, die sich in der kritischen Theorie verortet, zu beziehen. Die dort verhandelten Debatten zwischen Benhabib, Butler, Drucilla Cornell und Nancy Fraser können als Gespräch zwischen zweiter und dritter Welle des Feminismus gelesen werden und haben an Aktualität nichts eingebüßt. Sich gegen das vermeintlich offenkundige Bündnis von Postmoderne und Feminismus wendend, welches zeitgenössisch noch stärker als 1993 ausgeprägt sein dürfte, fragte Benhabib: „Feminismus oder Postmoderne?“ und unterstrich, dass „die postmodernen Positionen nicht nur das Spezifische der feministischen Theorie auslöschen, sondern sogar das Emanzipationsideal der Frauenbewegung schlechthin in Frage stellen“.5 Gegen Postfeminismus und Poststrukturalismus Butlerscher Provenienz, die auf dem Tod des Subjekts, der Geschichte und aller Metaphysik beruhen, plädiert Benhabib darin für eine schwache Version dieser „Tode“, die zugleich versucht das politische Subjekt der Frau zu erhalten. Wollte man dem selbst gesetzten didaktischen Anspruch daher gerecht werden, der explizit herauszuarbeiten hätte, was eben genau am Partikularismus und Kulturrelativismus postmoderner Provenienz und der damit verbundenen Absage an einen universalistischen Feminismus so problematisch sei, hätte man dies deutlicher anhand einer immanenten Kritik der feministisch-postmodernen Positionen herausarbeiten können. Recht unterbelichtet bleibt in Freiheit ist keine Metapher zudem das Konzept des Intersektionalismus. So bezieht sich Rocio Rocha Dietz in ihrem Beitrag zwar auf die Kritik durch die Sozialwissenschaftlerin Karin Stögner und streicht korrekt heraus, dass in der Trias von Race, Class und Gender der Antisemitismus nicht vorkomme bzw. lediglich unter der Kategorie Race subsumiert werde. Von Dietz ausgeblendet wird hierbei jedoch, dass Stögner sich vielmehr an einer rettenden Kritik des Intersektionalismus versucht, die Ideologien wie Antisemitismus, Sexismus und Rassismus in ihren Verstrickungen zur Gesamttotalität zu begreifen sucht und damit eine Vermittlung zur kritischen Theorie Horkheimers und Adornos anstrebt. Die Frage nach dem Intersektionalismus – gleich ob man sich affirmativ oder kritisch dazu positioniert – bleibt im Band kaum berührt, wenn dieser nicht nahezu vollends negiert und für unbrauchbar erklärt wird.6

Verbleibt der zeitgenössisch vorherrschende Begriff des Intersektionalismus tatsächlich unterkomplex, was das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus angeht, so weisen Sama Maani, Polina Kiourtidis und Hannah Kassimi mit Verweis auf die in der Tradition der kritischen Theorie stehenden Wissenschaftler Moishe Postone und Detlef Claussen auf eine notwendig vorzunehmende Unterscheidung beider Phänomene hin. Kiourtidis stellt hierbei auch heraus, dass es ein „Mythos“ sei, dass „zwischen Antisemitismus und Antizionismus“ eine „klare Trennung“ vorliege.

Schlussendlich hätte man auch Edward Saids Orientalism sowie dessen überbordende Rezeption in den Geisteswissenschaften, auf das mitunter weite Teile Butlers Argumentation rekurriert7, umfassend diskutieren müssen. Das Saidsche Gründungswerk des Postkolonialismus verfügt etwa in Ethnologie und Religionswissenschaft über maßgebliche Deutungshoheit und hat der politisch Linken über zahlreiche Multiplikatoren vermittelt die Fähigkeit zu einer Religionskritik – gleich ob im Voltaireschen, Feuerbachschen oder Marxschen Sinn – ausgetrieben.8 Bis auf wenige Ausnahmen – Ljiljana Radonić, Hannah Kassimi, Fathiyeh Naghibzadeh und Janina Marte – die sich rudimentär mit Said auseinandersetzen oder ihn als problematischen Angelpunkt der Postcolonial Studies zumindest benennen, lässt dies das Buch leider vermissen. Ungeachtet der mangelnden inhaltlichen Tiefe und diesen Versäumnis bleibt offenkundig, dass eine an den Postcolonial und Gender Studies angelehnte kulturrelativistische Haltung Kinderehen, Angriffe und Säureattacken auf Frauen sowie Vollverschleierung und Genitalverstümmelung schön redet bzw. gar verleugnet. Man reibt sich immer wieder verwundert die Augen über derartige Relativierungen und mag kaum glauben, dass sich als Feministen verstehende Subjekte derartig positionieren, aber diese Dinge sind evident und werden im Band anhand zahlreicher Beispiele veranschaulicht. Trotz der angesprochenen Schwächen soll hier eine Leseempfehlung stehen bleiben, die zugleich einfordert, sich umfassender mit den Ikonen der Gender und Postcolonial Studies auseinander zu setzen. Im Zentrum einer kritischen Auseinandersetzung mit postmodernen Dogmen hätten dabei unbedingt Saids Rassismus und „Israelkritik“ zu stehen, ohne das Theorem des Orientalismus vollends zu negieren, denn dieses gälte es im Sinne kritischer Theorie einem Zeitkern der Wahrheit nach entsprechend kritisch zu reflektieren. Die Kritik postkolonialer Theoriebildung im Allgemeinen und Saids sowie Butlers im Besonderen darf deshalb auch nicht darin umschlagen, die Geschichte des wissenschaftlichen Rassismus und Kolonialismus zu verleugnen. Das Problem besteht viel eher in der Dogmatisierung dieses Theorems sowie im Ausblenden Saids eigener rassistischer Perspektive, die alles westliche Denken negiert9 und jeglichen antiimperialistischen Bewegungen einen Freifahrtschein ausstellt, weil sie auf der Romantisierung des ‚Anderen‘ beruht. Ein gutes Beispiel für eine emanzipatorische Analyse liefert hingegen Dennis Schnittler in seinem Beitrag „Der ewige Neger“, in dem er eine umfangreiche materialistische Analyse des Rassismus und der Verschränkung von Produktivitätsgefällen mit kolonialer Geschichte vorlegt.

Positiv hervorzuheben sind auch die Beiträge, die sich mit dem Iran und dem Jihadismus beschäftigen. So wird der totalitäre Charakter des theokratischen Regimes der Iranischen Republik bündig und prägnant analysiert. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er auf der Sharia fußend die Negation einer Gewaltenteilung legitimiert und bis ins äußerste Privatleben durchgesetzt wird sowie als oberstes Ziel die Auslöschung des Staates Israel inne hat. Der politische Islam wird dabei als nicht mit den Grundsätzen universeller Menschenrechte und persönlicher Freiheit vereinbar charakterisiert. Dies wird von vielen westlichen Linken aufgrund der Dogmen des Kulturrelativismus und Antiimperialismus geleugnet und fußt auf einem unterkomplexen Weltbild (Unterdrücker versus Unterdrückte). Das führt mitunter dazu, dass koloniale Vergangenheit islamisch-arabischer Herrschaft ignoriert wird, bedienen sich derartige Perspektiven doch einem strikten Okzidentalismus (Ian Buruma und Avishai Margalit), der ausschließlich den Westen, nicht aber das imperialistische Regime in Teheran zu betrachten in der Lage ist. Richtig ist auch, dass dem Weltbild des postmodernen Antiimperialismus und Kulturrelativismus folgend, der imperialistische Charakter des Iranischen Regimes ignoriert wird, was in der Unterstützung des Al-Quds-Tages sowie der BDS-Kampagne durch Linke gipfelt. Beides hat seine Ursprünge im Iran.10

Hinsichtlich des Jihadismus analysiert der Psychoanalytiker Maani die klagende „Weltsicht aller Islamisten“, die den Verlust von „Würde“ und „Ehre“ und damit den Machtverlust des politischen Islam fürchten; Maanis Deutung nach identifiziere und sehne sich der Islamist nach einem goldenen Zeitalter des „frühen Islam“, was seinen „Wut und seinen Hass“ „radikalisieren“ und an den USA, Israel, Juden sowie dem Kapitalismus ausagieren lasse. Das Gezeter um die Mohammed-Karikaturen dient Maani hierfür als negatives Exempel, dem er das Beispiel vom 2011 aufgeführten Theaterstück The Book of Mormon entgegenhält, was nicht ansatzweise zu ähnlichen Reaktionen geführt habe, da im kollektiven Bewusstsein der Mormonen der Ehrbegriff nicht annähernd so verankert sei; vielmehr habe die mormonische Kirche lakonisch wie folgt reagiert: „Sie haben das Stück gesehen, lesen sie jetzt – das Buch“. Es bleibt zu hoffen, dass sich linke Gesellschaftskritik reformulieren lässt, die sich gegen die Neue Rechte positionieren kann, ohne die Kritik der Religion der Kritik des Rassismus zu opfern. Dass „Freiheit weder westlich, noch östlich, sondern universal“ sei, wie es iranische Feministinnen zuletzt Anfang 2018 forderten, bleibt damit an den Marxschen kategorischen Imperativ zu koppeln: „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Freiheit ist keine Metapher kann bei allen angesprochenen Kritikpunkten durchaus einige Argumente hierfür liefern.

von Mathias Beschorner

Vojin Saša Vukadinović (Hg.)

Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik

Querverlag zu Berlin 2018

489 Seiten

20 Euro

1 Z.B. an der Reaktion Judith Butlers und Sabine Harks, bei der die Kritik von Beißreflexe in die Nähe der Neuen Rechten gerückt worden ist, ablesbar: Vgl. Butler, Judith; Hark, Sabine: Die Verleumdung. Denunzieren die „Emma“ und die Verfasser des Buches Beißreflexe die Gender-Theorie? Judith Butler und Sabine Hark finden die Angriffe infam und wehren sich. In: Zeit: https://www.zeit.de/2017/32/gender-studies-feminismus-emma-beissreflex, 2. August 2017, abgerufen am 16.10.2018.

2 Vgl. Vukadinović, Vojin Saša: Butler erhebt „Rassismus“-Vorwurf. In: Emma: https://www.emma.de/artikel/gender-studies-sargnaegel-des-feminismus-334569, 28. Juni 2017, abgerufen am 16.10.2018.
3 Exemplarisch hierfür: Maul, Thomas; Schneider, David: Asexuelle Belästigung. Warum #MeToo ein großangelegter Übergriff auf die Residuen bürgerlicher Zivilisation ist. In: Bahamas: Nr. 78, 2018.
4 Siehe Salzborn, Samuel: Kampf der Ideen. Die Geschichte politischer Theorie im Kontext, Baden-Baden 2015, S. 113ff.
5 Siehe Benhabib, Seyla: Feminismus und Postmoderne. Ein prekäres Bündnis. In: Benhabib, Seyla; Butler, Judith; Cornell, Drucilla; Fraser, Nancy (Hg.): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt am Main 1993, S. 9 bzw. 13.
6 Vgl. Pintul, Naida: Regressive Lifestyles bewerben. Queerfeminismus – das aktivistische Verfallsprodukt des Gender-Paradigmas, im vorliegenden Sammelband.
7 Vgl. Butler, Judith: Am Scheideweg. Judentum und die Kritik am Zionismus, Frankfurt am Main 2013.
8 Siehe Weiß, Volker: Dröhnendes Schweigen. Früher war Religionskritik die vornehmste aller marxistischen Tugenden. Doch zum Glaubensterror des islamischen Fundamentalismus hat die westliche Linke nichts zu sagen. In: Zeit: http://www.zeit.de/2015/15/religionskritik-linke-fundamentalismus-islamismus. 23. April 2015, Abgerufen am 16.10.18.
9 Vgl. Salzborn: Kampf der Ideen, S. 34 und S. 149.
10 Vgl. Markl, Florian: Der Ursprung der Israel-Boykottbewegung. In: Sans Phrase, Zeitschrift für Ideologiekritik, Nr. 11, 2017, S.49ff.

Weibergemeinschaft. Eigentumsrecht als ideologisches Moment des Zwangscharakters Prostitution.

Voller Überzeugung wirft Tess Hermann in der Frankfurter Rundschau in die Debatte zur Reform des Prostitutionsgesetzes von 2016 ein, dass die „Sexarbeit“ ein „Job wie jeder andere“ sei, denn es gehe schließlich darum, „über die Runden zu kommen“ und ebenso wie das Kellnern gebe es „Nachtschichten, zugerauchte Kneipen und alkoholisierte Gäste“. Lediglich die „Stigmatisierung“ der Prostitution durch den Gesetzgeber sei hier das Problem, da es „einer offenen Debatte über ihre Vor- und Nachteile [der Prostitution Anm. B.W.] im Weg“ stehe. Menschenhandel und Zwangsprostitution – andere Gewaltverbrechen werden gar nicht angerissen – seien dagegen locker durch eine Legalisierung in den Griff zu kriegen.[i] Der genannte Artikel wartet nicht nur mit dieser Lüge auf, denn eine im Auftrag der Europaparlaments erbrachte Studie fasst 2014 u. a. zusammen, dass in Ländern, die Prostitution legalisierten einen Anstieg des Menschenhandels zu verzeichnen ist,[ii] der Artikel benötigt diese Lüge, insofern er pars pro toto für die Ignoranz liberalen Denkens gegenüber der Arbeitsform Prostitution und der sie zeitigenden bürgerlichen Eigentumsverhältnisse steht.
Im Folgenden wird ein Beitrag zur Debatte über die Prostitution als Gegenstand feministischer Agitation vorgestellt, der Prostitution als geschlechtsabhängige Folge der bürgerlichen, kapitalistischen Vergesellschaftung und das Eigentumsrecht als ideologisches Moment zur Verschleierung der in der Prostitution angelegten materiellen Ungleichheit der Geschlechter fasst. Daraus folgert der Beitrag, das Ziel der Aufhebung der Prostitution als kommunistische Forderung gegen liberalen Feminismus aufrechtzuerhalten.
Geschlechterverhältnis und Erwerbsarbeit
Im Geschlechterverhältnis der Prostitution liegt der bestimmende Unterschied zu anderen Berufen, weshalb die Kritik der Prostitution sich nicht in der formalen Kritik der Produktionsverhältnisse erschöpft. Durchaus – so mag man einwenden – gibt es eine Vielzahl geschlechtsspezifischer Berufszweige, etwa die Care-Arbeit, das Frisör- oder das Bauhandwerk. Geschlechtsspezifische Berufe stehen aber formal allen Geschlechtern offen, da die Dienstleistung nicht an das Geschlecht gebunden und insofern frei austauschbar ist. Für die Käufer/-innen der Ware ist es formal irrelevant, welche Arbeitskraft den Warenwert erzeugte. Der Haarschnitt ist formal unabhängig davon, ob die ihn ausführende Arbeitskraft männlich oder weiblich ist.[iii] Dass es dennoch typisch „weibliche“ Berufszweige gibt, hat historisch-politische Gründe. Die politischen Schranken, die Frauen die Ausübung männlicher Berufe versagten, erodierten, wobei die ökonomischen Verhältnisse diesen Erosionsprozess vorantrieben. Als in der letzten Blütenphase fordistischer Arbeitsweise die Hausfrauenehe nicht mehr ein ausschließlich der bürgerlichen Kleinfamilie vorbehaltene Beziehungsform war und damit die finanzielle Stärke des männlichen Familienvorstands bewies, sondern auch von der Arbeiterklasse erreicht wurde, verlor die Hausfrau ihre Funktion als bürgerliches Statussymbol. Um weiterhin die Distanz zur Arbeiterklasse zu wahren, wurde die Arbeit der Frau zum chic. Die Arbeitslast erforderte und das Einkommen ermöglichte die Externalisierung der Reproduktionsarbeit in den Dienstleistungssektor, der durch sein Anwachsen auch einen Großteil der neuen, weiblichen Arbeitskräfte absorbieren konnte.
Frauenerwerbsarbeit ist jedoch kein Novum der postfordistischen Gesellschaft. Sowohl bezüglich des Frauenanteils von Erwerbspersonen als auch bezüglich der weiblichen Erwerbsquote schwankt die Frauenerwerbstätigkeit in sich industrialisierenden Gesellschaften – gemessen an Frankreich, Österreich, Großbritannien und Deutschland seit 1850 – zwischen 30 und 40 Prozent.[iv] Insbesondere zwei Faktoren prägten die Berufsfelder, die Frauen seit der Industrialisierung offen standen:Zum einen war die Aufsplittung in komplexe Arbeiten, die hohe Qualifizierung erfordern, und in vereinfachte, unqualifizierte Tätigkeiten maßgeblich, was sich am Fließband zeigte, an dem vor allem Arbeiterinnen standen; zum anderen standen die Berufszweige Frauen offen, die an die bereits von Frauen ausgeübten Haus- und Carearbeit anknüpften und zwar vom Dienstmädchen zur Volksschullehrerin.[v] Einer dieser Tätigkeitsbereiche ist die Prostitution.
Entgegen der geschlechtsspezifischen, aber dennoch vom Geschlecht abstrahierbaren Berufen stellt in der Prostitution die Ware selbst gerade geschlechtsbezogene Sexualität dar und ist an die Geschlechtlichkeit der Arbeitskraft gebunden. Das Spezifikum der Prostitution im Vergleich zu anderen Berufsfeldern ist, dass sie von einem Geschlecht ausgeführt werden muss, faktisch von Männern gekauft und von Frauen angeboten wird.[vi] Der Zuhälter kann seine Prostituierte, fällt sie aus, nicht selbst ersetzen. In europäischen Ländern kauften nach Erhebungen von 1998 und 2000 zwischen zehn und 20 Prozent der Männer bereits mindestens einmal Sex[vii].
Da diese Arbeit nicht nur geschlechtsspezifisch, sondern geschlechtsabhängig ist, tritt in der Prostitution die männliche Autorität über den weiblichen Körper, also das patriarchale Geschlechterverhältnis, als Vertrag den Geschlechtern gegenüber. Dieser Vertrag bricht männliche Autorität aber nicht, sondern legalisiert sie. Da die geschlechtliche Abhängigkeit der zum Markte getragenen Haut das wesentliche Spezifikum der Arbeitskraft ist, benötigt die Kritik des spezifischen Produktionsverhältnisses feministischen Gehalt, um das Besondere an der Prostitution zu begreifen.
Konsens und Ungleichheit
Das patriarchale Geschlechterverhältnis ist der Dienstleistung Prostitution eingeschrieben und beides durch das bürgerliche Eigentumsrecht als ideologisches Moment verschleiert. Die weibliche Sexualität ist in der Prostitution formal frei und die Prostituierte gleicht de jure dem Zuhälter und dem Freier. Mit der Prostitution erkauft sich der Mann allerdings das zeitweilige Recht auf die Sexualität der Frau, die wiederum ihre Sexualität für die Bedürfnisse des Mannes zur Warenform trimmt. Die Prostituierte muss sich von ihrer Sexualität entfremden, um sie – dem stummen Zwang des Marktes folgend – veräußern zu können. Da die weibliche Sexualität dem auf dem Markt vorherrschenden männlichen Bedürfnis angepasst, angeboten, verkauft und konsumiert wird, erfährt sie sich als Warenform. Die Ideologie der Eigentumsverhältnisse verschleiert diese Veräußerung der weiblichen Sexualität jedoch, indem die Sexualität als Eigentum noch der Frau zugeschrieben wird und vermeintlichen Konsens als Vertrag codiert. Dabei wurde ein Repertoire ideologischer Begriffe geschaffen, um das Verhältnis ungleicher Gleicher zu kaschieren. Formal frei und doch unfrei gehört die Sexualität der Prostituierten nicht mehr der Prostituierten selbst, was die Prostitution als die Negation selbstbestimmter weiblicher Sexualität nahelegt.
Im Manifest der kommunistischen Partei sprechend demzufolge Marx und Engels davon, dass die Weibergemeinschaft ein Verhältnis ist, „was ganz der bürgerlichen Gesellschaft angehört und heutzutage in der Prostitution vollständig besteht“[viii] Dabei versteht Marx unter Weibergemeinschaft eine materielle Situation, „wo also das Weib zu einem gemeinschaftlichen und gemeinen Eigentum wird“,[ix] dem die Ehe als Form des exklusiven Eigentums gegenübersteht. Die Frau – metonymisch für die von ihr veräußerte Sexualität – steht in der Prostitution allen Männern als Eigentum zur Verfügung. Gleichwohl wird der Verkauf der Sexualität durch das Zwangsverhältnis, geschaffen aus dem allgemeinen Zwang zum Verkauf der Ware Arbeitskraft und der ökonomischen Abhängigkeit der Frau vom Mann durch den, den Produktionsverhältnissen eingeschriebenen Geschlechterverhältnissen, für viele Frauen zur Notwendigkeit. Dazu bietet das Rechtsverhältnis das folglich notwendig falsche Bewusstsein an. Denn dieser bürgerlich-verbriefte Vertrag ist das Possenstück zu der Wahrheit, an den die Hoffnung auf die feministische Rede vom konsensualen Sex sich zu klammern versucht:
Einer Studie von Melissa Farley zufolge wurden zwei von drei der 130 in San Francisco befragten Frauen mindestens einmal vergewaltigt, während sie als Prostituierte arbeiteten. Diese Zahlen bleiben im internationalen Vergleich – folglich also bei verschiedenen Rahmenbedingungen – stabil.[x] Die Enteignung der Sexualität und die gleichzeitige Verschleierung durch die Ideologie der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse – der Konsens durch Vertrag – tritt dann trotz der Rede vom „Job wie jeder andere“ zutage, wenn der Bundesgerichtshof 2001 feststellt, dass eine Prostituierte auch dann nicht als vergewaltigt anzusehen ist, wenn der Täter den Beischlaf „erzwingt“, sofern „zu deren Durchführung sich das Tatopfer zuvor gegen Entgelt freiwillig bereit erklärt hatte.“[xi] In solchen Fällen wird Prostitution zur legalen Vergewaltigung. Die eigene, weibliche Sexualität kann im bürgerlichen Eigentumsrecht als männliches Gemeingut erworben und darauf zugegriffen werden. Die Rede von der freien Sexualität qua Verkauf ist dementsprechend Ideologie.
Gekaufte Freundinnen
Die Enteigung weiblicher Sexualität durch den Markt zeigt sich auch in den praktischen und psychischen Folgen der Entfremdung. Sowie Entfremdung die Vorbedingung zur Umwandlung von Dingen in Waren ist, bedingt die Transformation des Sexus zur Ware die Abspaltung des Sexus von der personalen Identität der Prostituierten. Laut einer Studie von Melissa Farley, die knapp 900 Prostituierte in neun verschiedenen Ländern (darunter auch Deutschland) befragte, leiden zwei von drei Prostituierten unter posttraumatischer Belastungsstörung. Etwa 89 Prozent der Befragten wollen der Prostitution zwar entkommen, sehen aber keine andere Möglichkeit, um zu überleben [xii] In einer konzeptionellen Studie schlussfolgert Farley aus den bisher vorliegenden qualitativen und quantitativen Studien zur psychischen Verfassung von Prostituierten:

In all prostitution there is commodification of the woman’s body. This commodification often results in internalized objectification, where the prostituted woman begins to see sexually objectified parts of her own body as separate from, rather than integral to her entire self. This process of internalized objectification leads to somatic dissociation, even in prostitution where there is no physical contact between the woman and the john. […] Most women report that they can not prostitute unless they dissociate. Chemical dissociation aids psychological dissociation, and also functions as analgesic for injuries from violence. When women in prostitution do not dissociate, they are at risk for being overwhelmed with pain, shame, and rage.[xiii]

Um den psychischen Folgen dieser Transformation zu entkommen, trainieren sich Prostituierte häufig Residuen zur Aufrechterhaltung personaler Integrität in Form körperlicher Schutzorte an. Bekannt ist beispielsweise das Verbot des Küssens. Indem der Kuss zum Akt intimer Zuneigung aufgeladen und dem Freier untersagt wird, schaffen sich Prostituierte unverletzte, jedoch auch kleine und fragile Grenzräume. Diese Grenzräume werden aber mit dem seit einigen Jahren florierenden „Girlfriend-Sex“ zerstört. Wie der Name andeutet, geht der Girlfriend-Sex darum, die Vorstellung von Intimität beim Freier herzustellen, wobei damit freilich nicht die alltägliche Sexualität einer schnöden romantischen Zweierbeziehung dargeboten werden soll. Weder muss sich der Freier darum sorgen, dass sein „Girlfriend“ vielleicht zu müde ist oder sie von zu vielen Alltagssorgen getrieben ist, als dass sie Sex haben könnte. Er muss sich auch nicht darum Sorgen, sein „Girlfriend“ mit seinen eventuellen Gelüsten zu verschrecken. Denn der Konsens wurde schon erkauft. Mit „Girlfriend-Sex“ wird eine „Dienstleistung“ angeboten, die davon lebt „eine Illusion von Unmittelbarkeit und Echtheit zu verkaufen, um die sie notwendig betrügen muss.“[xiv] Zur Aufrechterhaltung dieser Illusion müssen die zuvor gesetzten Residuen aufgelöst werden, da es gerade die mit Intimität besetzten Elemente der Körperlichkeit sind, die der Freier erwerben will und die, sofern sie dennoch Vorenthalten werden, die Illusion der Unmittelbarkeit platzen lassen.
Zwischen Paternalismus und Zynismus
Gegen die Abolitionsbestrebungen eingewandt wird erstens, dass eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse die unmittelbaren und mittelbaren negativen Folgen der Prostitution für die Prostituierten mindern und den Beruf zu einem erträglichen umgestalten kann. Ein Verbot der Prostitution dränge Prostituierte zudem in die Illegalität ab. Die Abolitionist/-innen reduzierten zweitens Prostituierte auf reine Opfer und könnten Prostitution gar nicht als selbstbestimmten Berufsweg anerkennen. Insgesamt sei der radikalfeministische Abolitionismus nicht zur Solidarität mit, sondern nur zum Paternalismus gegenüber Prostituierten fähig.
Dem entgegen steht der Vorwurf des Zynismus angesichts der desaströsen Effekte der Prostitution auf die Prostituierten, der neun von zehn Prostituierten zwar entkommen wollen, aber nicht entkommen können, noch selbstbestimmtes Handeln erkennen zu wollen. Des Weiteren stützen sich Abolitionist/-innen in der Mehrheit auf das sog. Nordische Modell, das als wesentliches Element den Kauf von Sex (und nicht den Verkauf) illegalisiert. In Schweden gilt das Sexkaufverbot seit 1999, in Norwegen seit 2009. Folgen des Modells – das neben der Illegalisierung des Sexkaufs auch Aufklärungskampagnen bei Jugendlichen und Exitstrategien für Prostituierte enthält– sind durchweg positiv. Das Netzwerk Abolition2014 konstatiert nach Durchsicht der vorhandenen schwedischen und norwegischen Studien bezüglich der Folgen des Sexkaufverbots, dass die Zahl der Prostituierten zwar sank, Prostitution aber keineswegs in den Untergrund abwanderte. Der Menschenhandel ging zurück und die vor allem in Norwegen herrschenden Kartelle investierten aufgrund des unsicheren Marktes weniger in die Prostitution.[xv] Darüber hinaus werden Prostituierte durch das Sexkaufverbot gegenüber ihren Freiern in einen rechtlichen Vorteil gesetzt, da sie bei der Anzeige von im Rahmen der Prostitution begangenen Gewaltverbrechen keine Angst vor Repressalien befürchten müssen und z.B. angezeigte Vergewaltigungen – anders als in Deutschland – auch tatsächlich juristisch geahndet werden. Folglich erlaubt das Verbot des Sexkaufs bei gleichzeitiger Etablierung von Exitstrategien Prostituierten faktisch neue Handlungsmöglichkeiten, wodurch sie nicht nur formal, sondern auch materiell in die Möglichkeit versetzt werden, Entscheidungen hinsichtlich des Verkaufs ihrer Arbeitskraft zu fällen und ggf. den Beruf zu wechseln. Dem skandinavischen Modell liegt demzufolge eine Kritik der Prostitution zugrunde, die Solidarität mit den Prostituierten zwingend voraussetzt. Wenn Abolitionist/-innen, die das „Nordische Modell“ vertreten darum kämpfen, die große Mehrheit der Prostituierten überhaupt es in den Stand zu versetzen, eine Wahl zu treffen, läuft der Vorwurf des Paternalismus ins Leere. Freilich handelt es sich dabei um schnöde Realpolitik.
Insofern der liberale Feminismus auf die der Prostitution inhärenten materiell-geschlechtlichen Verhältnisse nicht reflektiert und den radikalfeministischen Abolitionsbestrebungen lediglich dem Vorwurf des bürgerlichen Moralismus entgegen hält, tappt er in die Falle, die ihr die Ideologie des bürgerlichen Eigentumsrechts stellt. Dagegen wäre zum einen festzuhalten, dass ein Feminismus, der es mit der Freiheit der Frau ernst meint, die rechtliche Position der Prostituierten nicht hofieren kann. Immerhin verbessert das Verbot des Sexkaufs eine die Stellung der Prostituierten, insofern es die Folgen der eigentumsrechtlichen Ungleichheit milder. Da die Prostitution sich jedoch auf dem eigentumsrechtlichen Unterschied gründet, müsse die konsequente Abschaffung der Prostitution die Forderung nach dem Kommunismus heißen, denn „[d]ie Prostitution beruht […] auf dem Privateigentum und fällt mit ihm. Die kommunistische Organisation also, statt die Weibergemeinschaft einzuführen, hebt sie vielmehr auf.“[xvi]

von Benjamin Walther

[i] Tess Herrmann, Ein Job wie jeder andere. Ein Einwurf zum neuen Prostitutionsgesetz, in: Frankfurter Rundschau 9.6.2016.
[ii] Studien für den Femm-Ausschuss: „Sexuelle Ausbeutung und Prostitution und ihre Auswirkungenauf die Gleichstellung der Geschlechter“, 2014. S. 10
[iii] Damit wird nicht widersprochen, dass in geschlechtsspezifischen Berufszweigen eine geschlechtsspezifische Arbeitskraft erwartet wird. Die Wahl eines geschlechtsuntypischen Broterwerbs zieht durchaus für die Arbeiterin oder den Arbeiter Probleme nach sich.
[iv] Josef Ehemer, „Innen macht alles die Frau, draußen die grobe Arbeit macht der Mann“. Frauenerwerbsarbeit in der industriellen Gesellschaft, in: Birgit Bolognese-Leuchtenmüller und Michael Mitterauer, Frauen-Arbeitswelten. Zur historischen Genese gegenwärtiger Probleme (= Beiträge zur historischen Sozialkunde 3). Wien 1993, S. 81-105. Hier: S. 82.
[v] Vgl. Josef Ehmer, Frauenerwerbsarbeit 1993, S. 86-87.
[vi] Das wird auch nicht dadurch nivelliert, dass auch Männer Sex verkaufen. Gekauft wird der Sex weiterhin von einem bestimmten Geschlecht.
[vii] Untersucht wurden Finnland, Russland (10-13 Prozent), Norwegen (11 Prozent), Niederlande (14 Prozent), Schweiz 19Prozent, die Stadt London (7-10 Prozent) und Spanien, wo die der Rate der Freier mit 39 Prozent weit über dem Durchschnitt liegt. Um die 70 Prozent Freier gibt es in Kambodscha und Thailand. Vergleiche zu den Zahlen; Hanny Ben-Israel, Levenkorn Nomi: The Missing Factor. Clients of Trafficked Women in Israel’s
Sex Industry. Jerusalem 2005, S. 14-15.
[viii] Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der kommunistischen Partei, S. 76.
[ix] Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, S. 534.
[x] Die Fallzahl liegt bei 130. 82 Prozent der Befragten wurden Opfer körperlicher Gewalt; 83 Prozent wurden mit einer Waffe bedroht. vgl. Melissa Farley, Howard Barkan: Prostitution, Violence, and Posttraumatic Stress Disorder, in: Women & Health, 27/3 (1998), S.37-49.
[xi] BGH vom 20.03.2001, Az. 4 StR 79/01
[xii] Melissa Farley et.al.: Prostitution and Trafficking in Nine countries. An Update on Violence and Posttraumatic Stress Disorder, in: Journal of trauma practice, 3/4 (2003), S. 33-74.
[xiii] Melissa Farley: Prostitution and the Invisibility of Harm, in: Women & Therapy 26 3/4 /2003), S. 247-280.
[xiv] Theodora Becker, Die Entdeckung der Ehrlichkeit. Von der Prostitution zur sexuellen Dienstleistung, in: Bahamas 68/2014, S.53-58, hier: 55.
[xv] Abolition2014: Mythbusting: Wenn man Sexkauf verbietet, wandert die Prostitution in den Untergrund, 25.01.2017
[xvi] Marx/Engels, Manifest, S. 76.

#onlyshe – zum Jargon der „echten Frau“

Vor kurzem erschien im Feuilleton der Jungle World ein Artikel,[1] dessen, den Inhalt recht gut zusammenfassender, Teaser lautete: „Die »Metoo«-Kampagne verharmlost Vergewaltigungen, weil sie sie in einer nivellierenden Masse von unterschiedlichsten, wenn auch insgesamt unappetitlichen [bis widerlichen] Vorfällen untergehen lässt.“ Paula Irmschler, da namentlich genannt, durfte zwei Wochen später „antworten“.[2] Irmschlers Text ist dabei deutliches Symptom für eine Debattenkultur, die den Namen nicht verdient, und wegen derer die Disko-Sparte der Jungle World allzu oft leider wirklich eher dem autistischen Aneinandervorbeigetanze heutiger Diskotheken ähnelt, was aber nicht dazu verführen sollte, zu denken, dass Texte dieser Art keine Wirkung entfalten würden oder dass dies nicht sogar dezidiert ihre intendierte Wirkung wäre. Die Hauptthese Irmschlers zur Verteidigung von #metoo wäre wohl die Behauptung: „Eine Debatte ist nicht obsolet, nur weil sie (auch!) von Fällen erzählt, die nicht justiziabel sind.“ Derart wird die behauptete „Gleichberechtigung“, welche den jeweiligen Phänomenen zukäme, schon sprachlich hergerichtet. Als wären es nicht nach kurzer Zeit schon vor allem nicht justiziable Fälle gewesen, von denen berichtet wurde, so dass die strafbaren Handlungen in der auf Masse setzenden Debatte schnell untergingen. Bei Irmschler liest sich dies folgendermaßen: „Keine Geschichte macht die andere weniger wert oder wertvoller.“ Dagegen wäre schon zu betonen, dass keine Geschichte, egal wie brachial, grausam diese sein mag, per se „wert“ oder „wertvoll“ ist. Dies wird sie erst durch die Verwertung, von der die Auswertung jene spezifisch qualitative Variante ist, während die Geschichten im Großen und Ganzen aktiv zu einem „Diskurs“ nivelliert und somit rein quantitativ verwertet werden. Continue reading „#onlyshe – zum Jargon der „echten Frau““

Wollt ihr den totalen Frieden? Appeasement, Faschisierung und postmoderne Zivilisationsmüdigkeit im neuen Europa.

Es sieht finster aus in Europa. Der zunehmenden Faschisierung der europäischen Nationalstaaten steht eine desorganisierte, theoretisch verarmte Mainstream-Linke gegenüber. Genau so kann von einer gemeinsamen Anstrengung gegen den Islamismus nicht die Rede sein, denn die Appeasementpolitik gegenüber all seinen Unterstützern wird höchstens mal von blindem, wirkungslosem Aktionismus abgelöst, wenn der Dschihad das europäische Festland erreicht. Die einzige Antwort staatlicherseits, ist die Ausdehnung von Überwachung und Repression bei gleichzeitiger Abschottung Europas vor dem Rest der Welt. Den Tod tausender verzweifelter Flüchtlinge vor den EU-Außengrenzen nimmt man damit ebenso in Kauf wie den starken Anstieg rassistischer und antisemitischer Gewalt. Continue reading „Wollt ihr den totalen Frieden? Appeasement, Faschisierung und postmoderne Zivilisationsmüdigkeit im neuen Europa.“