Im Februar 2013 erreichte eine lose organisierte, neurechte Strömung breite Bekanntheit. Sogar die Tagesthemen und die Tagesschau berichteten von ihr, der Identitären Bewegung. Die digitalen Plattformen und Netzwerke erlebten hohen Zulauf. Seitdem ist es ruhig geworden um die Identitären, zumindest in Deutschland. In Frankreich dagegen besetzten sie im Mai 2012 vermutlich aus Protest gegen die Einführung der eingetragenen Partnerschaft für homosexuelle Paare, das Parteigebäude der Sozialisten in Frankreich. Im September 2014 vermummten sich Anhänger der Identitären in Wien und spielten eine Hinrichtung nach Art der IS-KämpferInnen nach. Beide Aktionen erzeugten relativ hohe Aufmerksamkeit.
Es zeigt sich zweierlei: Die Identitäre Bewegung ist europaweit agierend und wenn auch in Deutschland vergleichsweise marginal, in anderen europäischen Ländern durchaus aktiv. Und: Die Identitäre Bewegung platziert aktuelle Themen mit starkem Medienbezug bewusst und durchaus effektiv und erzielt so hohe Aufmerksamkeit. Deshalb steckt in der Identitären Bewegung durchaus gefährliches Potential, politische Diskurse in eine antiemanzipatorische Richtung zu beeinflussen. Umso erfreulicher ist deshalb das 2014 vom Unrast publizierte Handbuch zur Identitären Bewegung in Europa.
Die AutorInnen, Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl, widmen sich in mehrdimensionaler Perspektiven dem Phänomen der Identitären. Einem Kapitel zu den historischen Vorläufern der Identitären folgt eine Charakterisierung der identitären Gruppen in den europäischen Ländern West- und Nordeuropas sowie eine Aufstellung der publizistischen wie politischen Netzwerke. Schließlich erläutern die AutorInnen die Ideologie und Strategie der Identitären. Das ganze Buch behält dabei die Form eines Handbuchs.
Ausgangspunkt: Konservative Revolution
Die AutorInnen platzieren die Identitären zunächst in der diffusen ideologischen Ecke der Neuen Rechten und verorten sie zeitlich, indem sie die historischen Vorläufer – nämlich die Konservativen Revolutionäre aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – beleuchten. Dabei zeigen sich durchaus Schwierigkeiten, die Ideologie der Anhänger(Innen?) der Konservativen Revolution zu greifen – ein Problem, das für alle, die sich mit dem Phänomen der Neuen Rechten beschäftigen, stabil bleibt. Den AutorInnen gelingt es, dieses Dilemma auf zwei Wegen zu umgehen: Erstens schildern sie die verschiedenen, durchaus konträren Ansätze zur Verortung der Konservativen Revolution; zweitens stellen sie einzelne, bedeutende Konservativen Revolutionäre wie Carl Schmitt und Ernst Jünger vor, die zum einen pars pro toto stehen, zum anderen auch immer wieder von Identitären Gruppen aufgegriffen werden.
Die Identitären als pan-europäische, neurechte Jugendbewegung
Beeindruckend ist das kenntnisreiche länderspezifische Kapitel zur Identitären Bewegung in West- und Nordeuropa. Lediglich die nähere Betrachtung des „Funken“, eine Wiener rechtsextreme Gruppe, bricht aus dem Schema des Länderüberblicks aus. Den AutorInnen gelingt es, die durchaus unterschiedliche Relevanz und Bedeutung der Identitären in den jeweiligen Ländern zu gewichten, zentrale länderspezifische Themen herauszustellen und Aktionsformen zu benennen. Auffallend ist, dass die Identitäre Bewegung stark darum bemüht ist, über ein corporate design ein einheitliches, transnationales Netzwerk zu präsentieren, das auf gemeinsamen Werten beruht und in konzertierten Aktionen insbesondere die Befreiung des sog. Abendlandes vor angeblich „fremdkulturellen“ Einflüssen zum Ziel hat. Länderspezifische, historiographische Differenzen, werden von Identitären umgangen (Zweiter Weltkrieg) oder als traurige Ereignisse (Erster Weltkrieg) dargestellt, aus denen gelernt werden solle, die „europäische Identität über nationale Unterschiede“ (Seite 99) zu stellen, so die AutorInnen.
Aufschlussreich wird auch geschildert, dass es sich bei der Identitären Bewegung um ein ideologisch älteres Phänomen handelt, das in Frankreich zwar seinen Ausgangspunkt hatte, in Italien allerdings eindeutig die stärkste Verbreitung findet – auch wenn dort die Aktionsformen nicht dem corporate design der Identitären entspricht. Ebenso ambitioniert ist die Darstellung des publizistischen wie politischen Netzwerkes. Die AutorInnen verlassen hierbei allerdings den Rahmen der Identitären Bewegung und skizzieren die Verlage, Blogs und Thinktanks der Neuen Rechten, als dessen Jugendbewegung sie die Identitäre Bewegung verstehen. Bekannte und wichtige Namen wie die Sezession, die Blaue Narzisse, Politically Incorrect oder das Studienzentrum Weikersheim werden genannt und erläutert. Die Breite der Länderstudien wurde hierbei jedoch nicht mehr aufrecht erhalten. Die Einordnung des Blogs „Achse des Guten“ in das Netzwerk der Neuen Rechten sollte aufgrund der diffusen personellen Zusammensetzung der BlogautorInnen stärker problematisiert werden.
Ideologie der Identitären Bewegung
Im dritten Großkapitel wird das gemeinsame ideologische Fundament der Neuen Rechten und der Identitären vorgestellt, das Menschenbild skizziert und genuin neurechte Begriffe und Konzepte wie den Ethnopluralismus skizziert. Ebenso wird der Kulturalismus – der auch als Absatzbewegung von klassischen Rechten Gruppen wie der NPD zu verstehen und ernst zu nehmen ist – als grundlegende Diskriminierungsform herausgearbeitet. Auch die Vorstellung eines identitären Europas wird aufgezeigt. Als Grundlage dienten hauptsächlich die deutschsprachigen, neurechten Gruppierungen. Dabei wäre eine Überprüfung der neurechten Ideologie aus transnationaler Perspektive durchaus gewinnbringend, denn so könnte sicherlich aufgezeigt werden, dass das Selbstverständnis der Identitären als eine konzertierte pan-europäische Aktion nur aus dem Kitt des corporate design besteht und eher wenig ideologische Gemeinsamkeiten besitzt.
Strategien und Gegenstrategien
Schließlich erläutern die AutorInnen die Strategien der Identitären und zeigen auf, dass diese vornehmlich auf visuelle Kommunikation in sozialen Netzwerken und öffentlichen Plätzen oder auf einzelne spontanisierte Aktionen setzen. Statt auf Tagespolitik setzt die Neue Rechte auf „Metapolitik“ und die Eroberung kultureller Hegemonie (Gramsci) insbesondere durch die Umdeutung von Begriffen (Einwanderung sei [kultureller] Genozid und Ausbürgerung antirassistisch) oder die Setzung neuer Begriffe („Ethnomasochismus“, „Überfremdung“).
Da dieses Buch „zu politischer Intervention anregen“ (Seite 10) soll endet es mit Vorschlägen zu Gegenstrategien, die in Anbetracht der Zielgruppe des Buches banal erscheinen mögen (links und rechts nicht gleichsetzen), aber durchaus auf empirischen Erkenntnissen fußen, die im Handbuch zusammengetragen wurden. So wird vorgeschlagen, den Schwerpunkt auf langfristige Arbeit gegen Identitäre zu richten, da diese sich nicht Tages- sondern Metapolitik zur Aufgabe gesetzt haben, die Gefahr also im langsamen durchsickern neurechter Begriffe und Denkmuster besteht und weniger in spontanistischen Aktionen.
Fazit
Stärke und Schwäche des Buches ist der breite Fokus auf die Neue Rechte in toto. Dies macht das Handbuch zu einem gelungenen Nachschlagewerk auch abseits der Identitären, für jeden und jede, die sich über die Netzwerke und Strategien der Neuen Rechten informieren will. Gleichzeitig jedoch bleibt die Einordnung der Identitären in diesem Netzwerk relativ unscharf. Die Konflikte und Überschneidungen zwischen den einzelnen Strömungen der Neuen Rechten herauszuarbeiten und so Licht in das Dickicht dieses diffusen ideologischen Dschungels, irgendwo zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus, zu schlagen, wäre sicherlich spannend. Des Weiteren wäre auch eine stärkere Beschäftigung mit den Verbindungen zwischen Identitären konservativen, also dem eigentlichen Objekt der Begierde neurechter Gruppen aufschlussreich. So könnte die Relevanz und Stärke neurechten und identitären Denkens bewertet werden. Gerade angesichts Pegida, das durchaus kulturalistische Konzepte vertritt, obwohl Identitäre vergleichsweise unbedeutend sind, wäre eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Funktion der Neuen Rechten als „Scharnier“ sinnvoll. Ein Handbuch kann dies aber vermutlich kaum leisten.
Mit dem Handbuch zur Identitären Bewegung wurde ein gelungenes Nachschlagewerk zur neurechten Szene, deren Netzwerke, Aktionsformen, diskursiven Mittel und länderspezifischen Themen und ideologischen Grundlagen bereit gestellt. Auch abseits der zumindest in Deutschland eher marginalen Identitären Bewegung bietet es den LeserInnen durchaus interessante und bisher unbekannte Erkenntnisse über die transnationale Rechte. Damit geht das Handbuch weit über die Aufgaben einen gängigen Nachschlagewerks hinaus.
von Benjamin Bauer
Julian Bruns, Kathrin Glösel, Natascha Strobl, Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa.Unrast Verlag, Münster 2014 263 Seiten 16 Euro