Der Sieg Donald Trumps im Wahlkampf um das Amt des Präsidenten der USA hat Schock und Empörung in Rheineuropa und insbesondere in Deutschland ausgelöst. Der Außenminister konnte sich bislang nicht einmal zu einem förmlichen Glückwunsch zum Sieg des Republikaners durchringen, so erzürnt ist sein demokratisches Gewissen. Dass Parteikollegen beispielsweise zeitgleich die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit und damit die politische Aufwertung des Iran fördern – geschenkt. Die Empörung über den Sieg Trumps erklärt sich nicht nur durch den Schock über das Erkennen der gerichteten Wahrnehmung und folglich der falsch eingeschätzten Interessen- und Debattenlage der US-Bevölkerung im Wahlkampf; die Empörung entspringt auch der im Zuge der falschen Aufarbeitung der Vergangenheit entstandenen deutschen Befindlichkeit.
Lehren aus der Vergangenheit
Diese Befindlichkeit wurde bereits vor dem Wahlabend vor allem durch das viral gewordene Meme eines in die USA emigrierten Deutschen sichtbar, der einen „offenen Brief“ an die US-Amerikaner verfasste, in dem er a) deutlich machte aus der NS-Vergangenheit gelernt zu haben und b) implizierte, dass die US-Amerikaner den Hitler des 21. Jahrhunderts wählen würden. Mit Witz geschrieben. Klar. „What could possibly go wrong?“, fragt der freiwillige Pauker und erinnert an das Vernichtungspotential seiner Landsleute, den er unter dem Hashtag „#beentheredonethat“ zusätzlich noch als infantiles Bubenstück inszeniert. Dass damit die Relativierung des Holocausts einhergeht und die Totalität des Nationalsozialismus gerade in den USA heraufbeschworen wird, deutsche Schuld also gerade am einstigen Befreier von den Deutschen exkulpiert wird, dass die Messlatte durch das handfest gewordene deutsche Vernichtungspotential so hoch gehängt wurde, dass darunter liegendes moralisches und politisches Fehlverhalten nicht mehr als kritikwürdig angesehen wird, Handeln also mit den Schrecken des Nationalsozialismus vergleichen lassen und verzerrt dargestellt muss, das alles gehört zum 1×1 antideutscher Kritik an Auslassungen dieser Art. Der Autor des Memes hat das sogar in seiner Replik ganz postfaktisch erwähnt, denn er wisse zwar um die Unvergleichbarkeit und damit um das Widerfaktische am Vergleich von Trump und Hitler – ihm ging es aber um die Wirkung. Die Lehre aus der Vergangenheit – und nicht etwa an der Vergangenheit, denn diese Lehre setzt eine Auseinandersetzung mit dem historischen Gegenstand voraus – ist längst des deutschen Denkens Beißreflex geworden. Gerade wegen der aus Auschwitz gezogenen Moral legitimiert sich deutschen Handeln.
Wir sind alle US-Amerikaner
Wo der wiedergutgewordene Deutsche noch ein zur moralischen Persuasion genötigtes Gegenüber braucht, an dem er seine Legitimation beweisen kann, ist der zum Formalismus abgedriftete antideutsche Kritiker schon einen Schritt weiter: So tauchte wenige Zeit später ein ähnlich aufgebautes weiteres, an „Dear Germans“ gerichtetes Meme auf, dessen Inhalt lediglich ein „Shut the fuck up“ sowie die Kennzeichnung der US-amerikanischen Bevölkerung als Absender enthält. Geschaffen, geteilt und gefeiert in der antideutschen Filterblase gefällt man sich in der Zurückweisung deutscher Morallehren. Gleichzeitig steht die so raue wie taktlose angebliche US-amerikanische Antwort im entlarvenden Kontrast zur viralen Wirkung, welche das Orginal-Meme in der aufgeheizten Debatte in den USA entfaltete.
Doch davon will der antideutsche Kritiker nichts wissen, gefällt es ihm doch allzu sehr, Sprachrohr der zur Projektionsfläche eigener Bedürfnisse gewordenen USA zu sein. Die libidinöse Aufladung der USA und der auch daraus geborene Wunsch nach antideutscher Identifikation mit der Siegermacht des Zweiten Weltkriegs hat eine Auseinandersetzung mit dem realen Gegenstand – hier in Form der Debattenkultur und politischer Interessenlage der US-amerikanischen Bevölkerung – aufgehoben. In dem von Antideutschen gefeierten Meme wurde die Identifikation mit den USA vollzogen. Noch besser als die wiedergutwordenen Deutschen brauchen die Antideutschen die USA nicht mehr als ansprechbares Gegenüber, um ihre eigene moralische Integrität unter Beweis zu stellen. Sie sind die USA.
Benjamin W.