Eine sexistische Aktion feministisch lesen? Eine Kritik an Heide Oestreichs Kolumne ›Sechs Brüste für Teddy. Das „Busenattentat“ auf Adorno.


Da ist es wieder: Alle paar Jahre kann jemand im deutschen Feuilleton nicht an sich halten und muss nach eingehender Bettenschau seinen Unmut darüber kundtun, dass der dicke Professorenonkel aus Frankfurt mit den großen Brillengläsern und den schwierigen Texten beim Geschlechtsverkehr nicht das Licht ausmachte und Verhältnisse mit jüngeren Frauen hatte. Aber nicht nur das, Heide Oestreich behauptet in ihrer Kolumne im Deutschlandfunk vom 31.07.2019 zur 50. Jährung des berüchtigten Busen-Attentats allen Ernstes, eben jene Attacke auf Theodor W. Adorno sei ein »emanzipatorischer Akt« gewesen. Oestreich versammelt in ihrem Text allerhand Mythen, Halbwahrheiten, Kommentarspaltengeraune und Lügen über Adorno, die man so schon oft lesen musste. Man kennt es. In der Kritik an Adorno geht es im deutschen Feuilleton nur selten um sein Werk, umso häufiger aber stehen sein Sexualverhalten und seine Beziehungen zu Frauen im Fokus. Auch bei Oestreich findet man hinter der verkniffenen Zurschaustellung ihrer Ansicht, dass Adornos kritische Theorie obsolet sei, keine stichhaltigen Argumente. Mal wieder muss der Blick in Adornos Schlafzimmer herhalten, um ihn in süffisanter Weise (»Rest in Peace, Teddy«) zu erledigen. Insofern nicht anders angegeben, stammen alle folgenden Zitate aus dem Text von Oestreich.
Da ist zuerst der schlechte Versuch, Gretel Adornos Anteil an Adornos Werk herabzusetzen und gegen ihn zu wenden. Hierbei zeigt sich, dass sich Oestreich nicht die Mühe gemacht hat, den Sachverhalt zu ergründen. Statt die Zeugnisse der tiefen Verbundenheit, der nicht-monogamen Ehe und all der biographischen Schwierigkeiten und Widersprüche zur Kenntnis zu nehmen, liefert Oestreich eine flache Interpretation. Dass Gretel Adorno über die Affären ihres Mannes Bescheid wusste, ja es offenbar darüber Absprachen gab und auch Gretel Adorno ihre Affären hatte, das lässt Oestreich nicht gelten. Die Ehe der Adornos widersprach dem zur damaligen Zeit gängigen patriarchalen Klischee, das Oestreich hier ungeprüft als Maßstab anlegt. Gretel Adorno war eben nicht einfach die »ausgebeutete Gattin«, die zu Hause saß, dem Mann zum Abendbrot Tafelspitz servierte und seine Texte redigierte. Die Feministin und Kritische Theoretikerin Regina Becker-Schmidt berichtet ein ganz anderes Bild: »Ich war mit ihm und Gretel Adorno befreundet. Für mich war die Beziehung zwischen den beiden genau durch diese Spannung gekennzeichnet: Treue trotz allem, Zuverlässigkeit, eine fast symbiotische wechselseitige Bezogenheit auf der einen Seite und die Fähigkeit, sich die Freiheit zu lassen, auf der anderen. Beide sind für mich eigentlich die Vorbilder für die Gestaltung meiner eigenen persönlichen Beziehungen geblieben. Stellen aus der ›Minima Moralia‹ wie ›Moral und Zeitordnung‹ oder über die Ehe aus der ›Dialektik der Aufklärung‹ sind nicht einfach nur graue Theorie, sondern auch ein Stück gelebter Wirklichkeit« (Becker-Schmidt, in: Früchtl/Calloni, Erinnern an Adorno, 1991, S. 210f.).
Die Moral, die vom Kritiker bereits jenes Bessere verlangt, dass dieser mit seiner Kritik erst intendiert, ist ein schlechte. Adorno war ganz sicher nicht frei vom patriarchalen Denken und auch er verkörperte den rationalen männlichen Charakter, welchen er und Horkheimer in der ›Dialektik der Aufklärung‹ kritisieren. Adorno entsprach aber ganz sicher nicht dem Bild des sexistischen, seine Ehefrau unterdrückenden Patriarchen, zu dem ihn Oestreich in ihrem Text zurechtlügt.
Heide Oestreich weiß aber noch mehr zu berichten. Adorno, dieser schmutzige alte Professor, stand auf junge Dinger bzw. auf die »Dinger« jener jungen Frauen. Adorno sei »Spezialist für diese delikaten Körperteile« gewesen […]«, der »[d]ie Dialektik der Dinger studierte […], indem er seinen gelehrten Blick ausgiebig auf denselben ruhen ließ, heißt es von Zeitzeugen«. Mit ziemlicher Sicherheit bezieht sich Oestreich in Sachen Zeitzeugen hier auf einen kurzen Interviewausschnitt mit Rüdiger Safranski im zweiten Teil der Fernsehdokumentation ›Wer denkt ist nicht wütend‹. Safranski beschreibt in diesem Ausschnitt, wie Adorno in einer Vorlesung aus dem Stehgreif umfassende Gedankenketten entfaltete, zugleich doch dem Auditorium zugewandt gewesen sei und eine zu spät kommende, platzsuchende Studentin während der in sich gekehrten Rede mit den Blicken fixierte und kurzeitig verfolgte. Von Busen, die Adorno hier angeblich ausgiebig studierte, ist nicht die Rede. Dass Adorno mit dem Erscheinen der Studentin »immer noch ein Auge für solch ein erotisches Vorkommnis hatte« (Safranski), ist erst mal allein Safranskis Interpretation (und wohl auch Projektion). Oestreich macht daraus ein sabberndes Gieren Adornos nach den Brüsten junger Studentinnen. Wenn man nicht mehr hat, um das eigene Ressentiment zu stützen, müssen eben Interviewschnipsel aus einer schlechten Dokumentation herhalten.
Nun soll sich Adorno nicht nur an den Brüsten von Studentinnen vergangen haben, sondern Oestreich weiß auch: »Und der Fetischisierung des weiblichen Körpers kommt man natürlich am besten im Bordell auf die Spur. Adorno hat hier zahlreiche Selbstversuche gemacht. Und nun dies: Sein Studienobjekt macht sich selbstständig. Der Busen wird quasi Subjekt und treibt Schabernack mit ihm!«
Der Adorno war also im Puff? Dass das belegt sein soll, weiß man spätestens seit dem nicht weniger erbärmlichen Spiegel-Artikel über Adornos Privatleben von Johannes Saltzwedel (https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-28325126.html). Was da wie belegt ist und warum man das belegen müsste, lässt auch er offen. Aber Saltzwedel entblödet sich nicht, auch noch die private Notiz Adornos über die »Masochistin Carol« aufzutischen. Der verheiratete Adorno und die »unbekannte Dame« (Saltzwedel) vergnügten sich mit BDSM-Spielchen in einem Hotelzimmer. Bei solch »weniger edlen Eskapaden« müsse man ja vom großen Intellektuellen, der sich »virtuos als Vordenker und Gewissen der Nation [inszenierte]« (Saltzwedel), Abstand nehmen. Adorno hat sich nie als solches inszeniert. Dieser Blödsinn erwächst nur regelmäßig den unverständigen Hohlköpfen des deutschen Feuilletons, die einen vehementen Kritiker deutscher Ideologie als deutsches Kulturgut verbuchen wollen. Mehr noch, einem Denken und Auftreten wie dem Adornos, Inszenierung und Affektiertheit vorzuwerfen, ist lediglich antiintellektuelles Ressentiment und nichts weiter.
Man fragt sich bei all diesen Verklemmungen von Oestreich und Saltzwedel, was das mit Adornos kritischer Theorie zu tun haben soll? Auch hier ist nur jene verklemmte Moral am Werk, die mehr über den aussagt, der sie gegen das Privatleben des Kritikers wendet. Und Sätze von Oestreich wie die zuletzt zitierten sollen doch nur suggerieren, Adorno, der alte schmutzige Mann, hat sich an jungen Frauen vergangen und nun schlagen diese in der Busen-Aktion zurück. Daher kommt auch die fragwürdige Verknüpfung des Busen-Attentats mit der Metoo-Kampagne in der Einleitung des Textes.
Oestreich vermittelt über die Hintergründe des Busen-Attentats ein Bild, als seien die Studierenden geschlossen gegen Adorno angetreten, dabei handelte es sich um eine radikale Minderheit – eine Gruppe, deren Wort- und Anführer mit wenigen Ausnahmen tatsächlich nur linke Macker und deren Verhalten gegenüber Genossinnen äußerst fragwürdig waren. Wie verschiedene Anwesende berichteten, brachte ein Großteil des Auditoriums bereits zu Beginn der Störung der Vorlesung am 22. April 1969 seinen Unmut gegen die Unterbrechung hervor und zeigte sich nach den körperlichen Zudringlichkeiten der entblößten Studentinnen schockiert (vgl. Müller-Doohm, Adorno. Eine Biographie, 2003, S. 722ff., S. 915f.)
Oestreich müht sich in ihrem Text nun ab, zwischen der Aktion von 1969 und dem Privatleben Adornos eine Verbindung herzustellen. Was sie uns anbietet ist inhaltlich kläglich und absurd. Schließlich ist bekannt, dass sich diese Aktion nicht gegen Adornos Verhalten gegenüber Frauen richtete. Vielmehr empfanden die Jedi-Ritter der Revolution Adornos Beharren auf das kritische Denken und einer daran geknüpften Praxis der unreglementierten Erfahrung als Verrat. Auf ihrer Flucht vor den gesellschaftlichen Widersprüchen in die wirkungslose Praxis und in den elitären Aktionismus wirkte Adornos Beharrlichkeit auf sie wie ein rotes Tuch. Dass die einige Monate zuvor erfolgte Räumung des besetzten Instituts für Sozialforschung durch die von Ludwig von Friedeburg und Walter Rüegg gerufene Polizei sofort der alleinigen Verantwortlichkeit Adornos zugeschrieben wurde, tat ihr Übriges dazu.
Adorno in Hinblick auf das autoritäre und zudringliche Verhalten der Studentinnen und Studenten zum Sexisten abzustempeln bzw. aus der Aktion »[f]eministisch betrachtet […] eine Urszene der sich selbst ermächtigenden Frau« zu machen, ist einfach nur grotesk. Ganz treffend hebt Becker-Schmidt in einem Interview hervor (auch in der besagten Dokumentation zu sehen): »Man kann Adorno auch in seinem Verhältnis zu Frauen eine ganze Menge vorwerfen, aber eins kann man überhaupt nicht ihm vorwerfen, dass er irgendwann mal sexistisch gewesen sei – und das [das Busen-Attentat] war sexistisch!«
Und zu Recht merkte Adorno in einem Spiegel-Interview an:
»Gerade bei mir, der sich stets gegen jede Art erotischer Repression und gegen Sexualtabus gewandt hat! Mich zu verhöhnen und drei als Hippies zurechtgemachte Mädchen auf mich loszuhetzen! Ich fand das widerlich. Der Heiterkeitseffekt, den man damit erzielt, war ja doch im Grunde die Reaktion des Spießbürgers, der Hihi! kichert, wenn er ein Mädchen mit nackten Brüsten sieht. Natürlich war dieser Schwachsinn kalkuliert. (Adorno, GS 20.1, 2003, S. 407).« Auch gegen das im Feuilleton beliebte und auch von Oestreich bediente Stereotyp, die Theorie Adornos hätte sich mit den aufbegehrenden Studierenden nun gegen ihn gewandt, nahm er bereits selbst Stellung: »Ein wirklich faßlicher Zusammenhang zwischen dem gegenwärtigen Aktionismus, den ich für höchst problematisch halte, und unseren Gedanken ist mir noch von keinem Menschen aufgezeigt worden. Irrationale Aktionen, von der Theorie abgelöst, die man verlästert, sind nie in unserem Sinn gewesen. Kritische Theorie schließt notwendig eben jene Analyse der Situation ein, die sich der Aktionismus erspart, um nicht der eigenen Hinfälligkeit innewerden zu müssen. Im Übrigen ist die These, wir hätten Ideen entwickelt, die sich gegen uns gewandt hätten, als sie in die Tat umgesetzt wurden, besonders beliebt bei denen, und wahrscheinlich von ihnen erfunden, welche die Freiheit des kritischen Gedankens mit der Geste des »Seht ihr’s« lähmen wollen. Ich habe so wenig Neigung, diesem Gestus mich zu beugen wie den Solidaritätszwängen der Aktionisten (Adorno, GS 20.1, 2003, S. 398f., Herv. i. O).«
Adorno war einfach nicht bereit, als Stichwortgeber für den autoritären Unsinn, den die Studierenden da veranstalteten, zu fungieren. Jene Beharrlichkeit des dialektischen Denkens scheint auch 50 Jahre später Heide Oestreich in Wut zu versetzen.
Dass es bei Oestreich mit der Auseinandersetzung mit Adornos Kritik nicht weit her ist, bezeugt auch folgende Passage: »Seine Theorie von der Totalität der kapitalistischen Vergesellschaftung beinhaltete auch, dass wir in diesem System zur Freiheit leider nicht fähig sind. Sein berühmtester Satz „Es gibt kein wahres Leben im falschen“ war von einer Erkenntnis mittlerweile zu einem Hindernis geworden. Jedenfalls für die jungen Leute, die sich mit derlei Fatalismus nicht abfinden wollten.«
Dass man aus Adornos Werk immer und immer wieder nur diesen Satz völlig entkontextualisiert und im Falle von Oestreich sogar falsch wiedergibt und diesen als Fatalismus interpretiert, sagt eigentlich nur etwas über ein feuilletonistisches Milieu aus, für das Adornos Begriff der Halbbildung ganz treffend ist. Warum verfasst jemand eine dreist verurteilende Kolumne über einen Denker und sein Werk, wo man offenkundig von der Materie nicht viel Ahnung hat? Dem Juden, der nach seiner Rückkehr aus dem Exil in Frankfurt mit gepackten Koffern wohnte, sogar Attentismus vorzuwerfen, wo Leute links wie rechts (zum Beispiel das Attentat auf Dutschke) wieder mit autoritären Mitteln zur politischen Tat schritten, kann man nur als ungehörig und dreist bezeichnen. Hier urteilt Oestreich über ein Werk und Leben, das sie offenkundig nicht mal im Ansatz durchdrungen hat. Andernfalls würde man vor dem Hintergrund eines Textes wie ›Marginalien zu Theorie und Praxis‹ und mit den Einsichten in Adornos Privatleben durch veröffentlichte Briefwechsel und Anderes nicht einfach behaupten, er hätte sich »gemütlich eingerichtet im falschen Leben«.
Helmuth Plessner hat nach dem Tod Adornos zu der Peinlichkeit der unpolitischen Aktion des Busen-Attentats im Grunde bereits alles gesagt:
»Seit Marx und den Umwälzungen in seinem Zeichen sind wir um viele Erfahrungen ärmer geworden. Darum sich in den Wartestand einer sogenannten bloßen Theorie flüchten wäre schlimmer, weil Verrat am Gedanken. Kritische Theorie ist ein Stück Praxis. Deshalb haben ihn die albernen Vorwürfe der Aktivisten, die es hätten besser wissen können, denn sie haben bei ihm gelernt, mit Recht verletzt. Und Mädchen mit oben nicht ganz ohne sind selbst im ganz entkleideten Zustand kein Argument (Plessner, Totale Reflexion. Zum Tode Adornos, in: ders.: Politik, Anthropologie, Philosophie. Aufsätze und Vorträge, 2001, S. 336).

von M. Schönwetter