Versuch über das Berliner Stadtschloss

Im Sturz durch Raum und Zeit
Richtung Unendlichkeit
Fliegen Motten in das Licht
Genau wie du und ich

Irgendwie fangt irgendwann
Irgendwo die Zukunft an
Ich warte nicht mehr lang

Liebe wird aus Mut gemacht
Denk nicht lange nach
Wir fahren auf Feuerrädern Richtung
Zukunft durch die Nacht

Gib mir die Hand, ich bau dir ein Schloss aus Sand
Irgendwie, irgendwo, irgendwann
Die Zeit ist reif, für ein bisschen Zärtlichkeit
Irgendwie, irgendwo, irgendwann

Im Sturz durch Zeit und Raum
Erwacht aus einem Traum
Nur ein kurzer Augenblick
Dann kehrt die Nacht zurück

Irgendwie fangt irgendwann
Irgendwo die Zukunft an
Ich warte nicht mehr lang

Liebe wird aus Mut gemacht
Denk nicht lange nach,
Wir fahren auf Feuerrädern Richtung
Zukunft durch die Nacht

Gib mir die Hand, ich bau dir ein Schloss aus Sand
Irgendwie, irgendwo, irgendwann
Die Zeit ist reif, für ein bisschen Zärtlichkeit
Irgendwie, irgendwo, irgendwann

Gib mir die Hand, ich bau dir ein Schloss aus Sand
Irgendwie, irgendwo, irgendwann
Die Zeit ist reif, für ein bisschen Zärtlichkeit
Irgendwie, irgendwo, irgendwann

Irgendwie, irgendwo, irgendwann
Irgendwie, irgendwo, irgendwann

         (Nena – Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann)

Am Anfang steht eine einfache Erkenntnis: Der Musiker kann ohne Geld sein Instrument spielen, der Maler ohne Geld malen, und der Autor auch ohne Verlag schreiben. Der Architekt hingegen ist, noch mehr als seine künstlerischen Kollegen auf die Patronage seiner Auftraggeber angewiesen.

Aus materialistischer Perspektive lässt sich erkennen, wessen Spiegelbild die Architektur ist, nämlich derer, die sie sich leisten können – früher die Kirche, heute Staat und Wirtschaft. Dabei soll die Gestaltung der Gebäude die Ideologie der Auftraggeber transportieren – das trifft auf Schinkels Klassizismus ebenso zu wie auf Le Corbusiers faschistoiden Purismus. Architektur wirkt hier als Medium der Semiose, also der Aussagen die mittels baustilistischer Zeichen transportiert werden sollen. Nun lässt sich vortrefflich Urteilen über die mittels Liebesschlössern an Brücken transportierte Semiose – hier soll es allerdings um ein anderes Schloss gehen, das Berliner Stadtschloss.

Mit der Wiedervereinigung Deutschlands ging in vielen Ländern Europas und kleinen Teilen der hiesigen Bevölkerung die Angst vor einem wiedererstarkten kontinentalen Hegemon, ja sogar dem 4. Reich um. Mit den Brandanschlägen in Rostock Lichtenhagen und Mölln und dem damit in unschlagbarer Verwaltungslogik einhergehenden Asylkompromiss sahen sich viele darin bestätigt. Doch es kam anders – man zog nicht trotz, sondern wegen Auschwitz in den Krieg, feierte das Sommermärchen und schwang sich zur – so der Wettbewerb – sympathischsten Nation der Welt auf. „In Europa wird deutsch gesprochen“ und mittelfränkische Politiker haben wieder Einfluss auf die Säuglingssterberate in den Mittelmeerländern. Auch wenn sich nun zeigt, wie berechtigt die Wendebefürchtungen waren, so geschah dies doch auf einem anderen Wege als erwartet – ohne offensiven Nationalismus sondern anhand von Sachzwängen, ruhigen Händen, Gastgeberfähigkeiten und Alternativlosigkeiten.

Der Geschichte fühlt sich die vereinigte Bundesrepublik in ihrer sympathischen Unverkrampftheit dabei besonders verpflichtet, der Begriff des Vergangenheitsbewältigungsweltmeisters steht dafür beispielhaft. Ein Bewältigungsmechanismus der Berliner Republik ist das Gedenken. Das Denkmal für die Ermordeten Juden Europas entstand 2005, das für ermordete Sinti und Roma 2012 und das für verfolgte Homosexuelle 2008. Henryk M. Broder sagte damals, er würde das Geld das in Denkmal für ermordete Juden floss lieber in den Händen der Überlebenden sehen als in einem abstrakten Denkmal. Und tatsächlich könnte man analog dazu sagen, dass Gedenken auch bedeuten könnte die Partnerschaft von Homosexuellen rechtlich vollständig anzuerkennen oder Sinti und Roma nicht in die ach so sicheren Drittländer auf dem Balkan abzuschieben. Aber dann hat man nicht verstanden, worum es im deutschen Erinnerungsdiskurs geht: Entschuldigen – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Vergegenwärtigung der Grauen Nazi-Deutschlands legt die Latte sehr hoch für aktuelle Ungerechtigkeiten.

Und nun also das Berliner Stadtschloss. Mit den Worten „Berlin soll wieder wilhelminisch werden“ zitiert Georg Dietz den nichtmehr armen Landadel und Geschäftsführer des Fördervereins für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses von Boddien. Nun weiß man ja, welches Ende es nahm mit dem wilhelminischen Reich und mag dem nichts entgegensetzen, doch den Nutzungsplänen durch das Humboldtforum wären die Hohenzollern wohl wenig zugeneigt gewesen: Die deutsche Kolonialgeschichte soll in den Räumen des Stadtschlosses – richtig: aufgearbeitet werden. Die Fassade sollen barocke Elemente zieren, zumindest zu drei Seiten, eine vierte soll in betoniertem Minimalismus gehalten werden. Das Spezifikum der architektonischen Postmoderne – nach Jameson die Logik der Kultur im Spätkapitalismus – ist das Spiel mit den Stilelementen verschiedener Epochen – dem Pastiche: „Das Original existiert dabei nicht mehr, sondern nur noch das Imitat. Unterschiedliche Stile und Muster werden z.B. in den Medien oder in der postmodernen Architektur zitiert und lassen keinen absoluten Beobachtungspunkt mehr zu“ (vgl. Jameson, 1989: 64ff). Mittels der inhärenten architektonischen Semiose sollen zwei historische Narrative transportiert werden, der preußische aufgeklärte Absolutismus (mittels protestantischem Barock) und die gegenwärtige Berliner Republik anhand des zum-Gähnen-ewig-aktuellen Glas-Beton-Cocktails. Mit dem Berliner Stadtschloss ersteht nicht das ewige Preußen aus seinen Trümmern auf, kein Monarch wird wieder auf den Thron gehoben. Vielmehr stellt der Neubau den Versuch dar, analog zur physischen Pastiche der Architektur einen historischen Eklektizismus zur Staatsräson zu erklären. Den Prunk des Barock einerseits – deren lutherische Ausprägung sich zum eigentlichen Barock freilich verhält wie Club Mate zu jedem Erfrischungsgetränk, das den Namen verdient – und den gegenwärtigen Zweckbaustil dem eben alles inhärent ist außer dem Zweck andererseits. Und so verhält es sich auch mit dem Interieur: Ausgestellt wird die Beute jener Zeit, als Deutschland sich den Platz an der Sonne erkämpfte – konserviert durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz – nun aber historisch aufbereitet, kritisch distanziert und voller Anerkennung für die kulturelle Leistung mit der die erbeuteten Schätze gefertigt wurden. Das alles ist möglich, wenn man sich erst mal entschlossen hat, 2015 ein Schloss zu bauen. [Alf Philips]

Literatur:

Admiral, Der: Marx und Engels sollen aus Berlin-Mitte verschwinden. Liberal Animation: https://libani.wordpress.com/2012/01/23/marx-und-engels-sollen-aus-berlin-mitte-verschwinden/.

Diez, Georg: Aufstand der Zombies. Spiegel Online. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/kolumne-von-georg-diez-ueber-das-berliner-stadtschloss-a-905705.html.

Jameson, Fredric: Postmoderne – Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus. In: Huyssen, Andreas & Klaus Scherpe (Hrsg.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels. Rowohlt (Hamburg) 1989. S. 45 – 102).

Jones, Paul: Putting Architecture in its social place. A Cultural Political Economy of Architecture. Urban Studies 456 (12), 2009.

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