Mit Humor gegen das Sakrosankte (Teil 2) – Frederic Heisig, Daniel Reichelt und Sebastian Stahl vom WildWuchs Theater Bamberg im Interview

Im zweiten Teil ( hier geht es zu Teil 1) des Interviews haben wir uns von der Schachnovelle weg, hin zu weiteren Inszenierungen des Wildwuchstheaters bewegt und über so manche Reaktionen der Theatergäste und über das Verhältnis von Bamberg und „wildem Theater“ gesprochen.
Distanz: Eure Performance „Männer, die die Welt essen“ hat ebenfalls polarisiert. Wie waren da die Reaktionen?
Frederic: „Männer, die die Welt essen“ hatte verschiedene Ansatzpunkte. Das Rahmenthema war Essen: Wie gehen wir mit Essen um? Wie wird Essen verschwendet? Weiter hat uns die existentielle Funktion und die ungleiche Verteilung von Essen in der Welt interessiert. Uns war bewusst, dass wir unheimlich provozieren und mit der Performance an Grenzen gehen werden. Im Nachhinein können wir sagen, wir haben genau das erreicht, was wir wollten: Anstatt eine Message zu vermitteln, haben wir das Publikum dazu animiert, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu diskutieren. Direkt im Anschluss an das Stück sind die Leute fast ineinander gekracht, weil sie es entweder großartig oder schrecklich fanden.
Sebastian: Oder uns vorgeworfen haben: „Muss man so viel Essen auf der Bühne verschwenden?! Muss das denn sein?!“
 

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Männer, die die Welt essen, Filmstill, Kamera: Thomas Mohr

 
Frederic: Afrika war ein wichtiges Thema und während einer Aufführung waren überraschend viele afrikanische Austauschstudenten im Publikum, die uns zunächst völlig falsch verstanden haben. Sie hatten den Eindruck, wir verhöhnen sie. Als wir gemerkt haben, dass da etwas schief läuft, sind wir gleich von der Bühne und haben mit ihnen diskutiert, woraufhin sich die Situation schnell stabilisiert hat. Unsere Intention war es, auf folgendes aufmerksam zu machen: Afrika ist ein Kontinent mit einer riesigen Landmasse und einer unglaublichen kulturellen Vielfalt und sehr vielen unterschiedlichen Problematiken. Aber alles was uns einfällt ist: Da haben Leute Hunger. Das wurde explizit thematisiert.
Sebastian: Man muss aber auch sagen, dass wir bei der Planung von „Männer, die die Welt essen“ uns gar nicht so viele Gedanken drüber gemacht haben, welchen Diskurs oder welche Diskussion es anregen könnte. Wir haben einfach mal gemacht und uns im Nachhinein ein paar Sachen bereitgelegt, um es ein wenig plausibel zu machen. Wenn wir ehrlich sind, wir hatten einfach Spaß daran – Punkt. Aus.
Frederic: Ich gebe Sebastian da Recht, es war eine sehr intuitive Sache, die nicht überkonzeptionell war. Daraus hat es seine Stärke gezogen.
Distanz: Dadurch wurde es auch sehr direkt.
Sebastian: Wir haben viel mit dem Publikum kommuniziert. Wir haben Essen verteilt und vier bis fünf Minuten die Abschlusshostie mit den Zuschauern zelebriert. Wir haben auch Fragen an sie gerichtet: „Wie schaut`s denn aus, was haltet ihr davon?“
Frederic: Was in dem Kontext wichtig ist und was uns allen am Herzen liegt, ist, dass wir Provokation nicht als Selbstzweck verstehen. Die Elemente, die im Endeffekt provozierend wirken, sind immer aus einer inneren Logik entstanden. Gedanken, konzeptionelle oder intuitive, werden im Laufe des Prozesses zu Ende gedacht, ohne Rücksicht zu nehmen, ob man „etwas machen darf oder nicht.“ Wir lassen Ideen frei, stellen sie in den Raum und gucken was passiert. So können Sachen entstehen, die für alle überraschend sind, für die Leute auf der Bühne, oder für die Leute im Publikum – das hat was Magisches, was Direktes. Darum mach ich das Ganze, um mich selber überraschen zu lassen und nicht um alles durchgeplant zu haben. Zwischen Zuschauerraum und Bühne soll etwas Neues entstehen.
Sebastian: Vielleicht hast du uns gerade das „verleitete Regietheater“ erklärt.
Distanz: In den letzten Jahren habt ihr euch vermehrt von den Originaltexten entfernt. Für die letzte Inszenierung habt ihr sogar die Schachnovelle in ein Theaterstück umgeschrieben. Ist das ein Befreiungsprozess?
Daniel: Es ist ein Prozess, der mit Erfahrung zusammenhängt und damit, was man sich zutraut. Früher hatten wir mehr Respekt vor den Texten und den Autoren. Es hat aber auch ganz pragmatische Gründe: manche Stücke darf man freier bearbeiten als andere. Auch wenn man Rechte bezahlen muss, muss man in einigen Fällen theoretisch bei jedem veränderten Satz nachfragen.
Frederic: Ich glaube der Prozess hat von der ersten Minute an begonnen. Alles was man künstlerisch produziert, fußt auf einer Entwicklung und in den letzten Jahren hat sich für uns alle unheimlich viel verändert. Wir haben uns intensiver mit dem Theater beschäftigt, die Experimentierfreude ist gestiegen. Zu Beginn hatten wir bereits bei Kleinigkeiten Sorge, wie sie aufgenommen werden, aber wir hatten positive Resonanz und wurden dazu ermutigt noch progressiver und weniger kompromisshörig zu werden. Das hat uns darin bestätigt mehr auszuprobieren und uns von einem Standard, der meist in der Provinz herrscht, zu befreien. In Berlin oder jeder anderen Metropole würden wir weit weniger auffallen, da wäre ein Stück wie Angriffe TM völlig anders aufgenommen worden als hier, wo die Sehgewohnheiten andere sind.
Daniel: Was aber auch unsere Chance ist, da wir hier eine Alternative bieten können, wie sie sonst noch nicht so großflächig angeboten wird.
Frederic: Ja, das ist die riesige Chance in der Provinz. Hier können noch Grenzen gesprengt werden, die woanders schon längst eingerissen sind.
Distanz: Habt ihr deswegen eure Bühne in Bamberg und nicht in der Großstadt aufgebaut?
Frederic: Vielleicht würden unsere Stücke den Berlinern auch gefallen, ich kann das nicht einschätzen, weil wir da noch nie etwas gemacht haben. Aber wir wären eine völlig andere Nummer, da man in großen Städten eine andere Form von Konkurrenz hat. In Bamberg machen wir eine Linie von Theater, die mittlerweile zu unserem Merkmal geworden ist. In Berlin müsste man sich zunächst von anderen Gruppen absetzen, um überhaupt Menschen zu aktivieren, zu einer Aufführung zu kommen. Dass wir um keine Aufmerksamkeit ringen müssen, ist eine zusätzliche Art der Freiheit. Wir können konsequent sein, ohne den Druck anders sein zu müssen.
Daniel: …und in den fünf Jahren, die wir das schon machen, haben wir uns mittlerweile gut etablieren können.
Sebastian: Seit dem ersten Stück „Warten auf Godot“ hat sich das Publikum verändert. Mittlerweile kommen zu unseren Vorstellungen nicht nur Studierende oder Bekannte, sondern auch Theaterinteressierte, die von uns in der Presse gelesen haben. Wir hatten zu Beginn bedenken, dass uns dieses etwas eingessenere Publikum nicht so gut aufnehmen wird, weil wir doch ein anderes Theater ist, ein jüngeres Theater und vielleicht ein bisschen „wilderes“ Theater. Aber da haben wir uns getäuscht, wir bekommen gerade auch vom älteren Publikum viel positive Resonanz.
Frederic: Der Bruch kam als wir aufgehört haben nach so einer Vorstellung einen Hut rumgehen zu lassen, und schon am Einlass kassiert haben. Das war auch der Moment, wo wir verstärkt in der Presse vertreten waren und Kulturförderung bekommen haben. Das vermittelt eine Art Gütesiegel.
Daniel: In der Schachnovelle war eine Mutter mit ihrem Sohn, der in der folgenden Woche ein Referat über die Schachnovelle halten musste.
Frederic: Ich sehe schwarz für diesen Jungen.
Sebastian: Ich auch.
Distanz: Ihr wollt ein Theater mit progressivem Anspruch machen, trotzdem steht in eurem Selbstverständnis der Verzicht auf künstlerische Überheblichkeit ganz weit oben. Kommt da manchmal der Punkt, wo ihr das Gefühl habt, dass das nicht mehr geht? Wo lebt ihr konkret den Verzicht auf die künstlerische Überheblichkeit?
Daniel: Wo leben wir den Verzicht? Du solltest noch zwei Bier mehr mit uns trinken.
Sebastian: Dann sind wir auf dem Niveau, auf dem wir anfangen, neue Stücke zu planen.
Frederic: Ich glaube Angriffe TM ist da schon ziemlich vorbeigescharbt. Viele Leute konnten nicht einsteigen, weil sie sich vielleicht schon zuvor ausführlich mit den Diskursen im Theater hätten auseinandersetzen müssen. Ich glaube, die Bühne, die eigentlich keine richtige Bühne war, hatte schon einen gewissen Beigeschmack von künstlerischer Überheblichkeit. Aber es ist ja ein Lernprozess. Danach sind wir einen großen Schritt zurückgegangen.
Daniel: Das war sehr komplex – wie oft haben wir es gespielt –sechs, sieben Mal? Ich glaube ich habe drei Aufführungen gebraucht, bis mir alles aufgeleuchtet ist. Dass dann der Zuschauer das nicht immer leisten kann, ist klar.
Distanz: Eingangs hast du, Frederic, Christoph Schlingensief erwähnt. Welche Rolle hat er für eure Art von Theater?
 
Frederic: Christoph Schlingensief ist jemand der viel Theater gemacht hat und gleichzeitig von den Konventionen abgestoßen war. Das ist jemand der Grenzen nicht akzeptieren kann, sondern immer Möglichkeiten sucht aus dem vorgegebenen Raum auszubrechen, in die Öffentlichkeit zu gehen und Menschen zu aktivieren anstatt irgendein Unterhaltungsprogramm abzuspulen. Er fängt immer wieder die Leute aus ihrem alltäglichen Leben und zieht sie in eine Gegenwelt. Strukturen, die er vorgefunden hat, dekonstruiert er so, dass jedem eigentlich klar werden muss, dass da irgendwas nicht stimmt. Das gelingt ihm ohne den Zeigefinger zu heben oder vorzugeben was falsch oder richtig ist. Er lässt die Menschen durch ein Tor gehen, alles selber durchleben und Raum für neue Gedanken schaffen. Er bereitet eine Utopie einer neuen Gesellschaft vor ohne etwas vorzugeben.
Sein Hamletprojekt war auch eine Inspiration für die Schachnovelle. Es lebte davon, dass er mit Aussteigern aus der rechten Szene gearbeitet hat und sie in dem Theaterprojekt inszeniert hat. Er hat die Strukturen der SVP ad absurdum geführt, er hat Leute in Fallen tappen lassen und die mediale Aufmerksamkeit so genutzt, dass der Theaterraum nur noch ein kleiner Moment war. Das Projekt wurde zu einem gesellschaftlichen Phänomen, es blieb nicht in dem kleinen Raum des Theaters. Durch die Presse wurde der Diskurs nach außen in die Öffentlichkeit getragen, das fand ich sehr spannend.
 
Distanz: Was dürfen die Zuschauer in Zukunft vom Wildwuchstheater erwarten? 
Daniel: Wir nehmen uns von Oktober bis Mai fünf Stücke vor. Es wäre toll, eine Thematik oder eine Linie durchgehen zu lassen. Wir müssen sehen, inwiefern wir das ermöglichen können. Manche Baustellen sind einfach größer als andere.
 
Frederic: Ich würde gerne irgendwann nochmal etwas sehr Existentielles machen, etwas in Richtung griechischer Tragödie, wo ich die Urprobleme des Menschen ganz stark vertreten sehe. Das nächste Stück wird allerdings vermutlich vor allem realpolitisch geprägt sein. Es soll das Thema Überwachung behandeln, und zwar im Internet, wo es in erster Linie, gewollt oder ungewollt, stattfindet. Was es nicht so schnell geben wird, ist ein reines Boulevardstück, das ausschließlich der Unterhaltung dient.
 
Daniel (grinst): Ich würde sowas machen!
 
Distanz: Dann viel Erfolg für die nächste Spielzeit und Dank für das Interview.
 
 

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